Gespräche zwischen Menschen und Tieren 1

Im Jahre 1928 bedauerte Michaux, damals als Seemann in Ecuador unterwegs, dass die Menschheit es versäumt habe, mit den Tieren zu reden. Keine Nebensache, sondern „eine gewaltige Lücke in der menschlichen Zivilisation“. Dennoch sieht er alle Anzeichen für eine gedeihliche, ja unaufhaltsame  Entwicklung in diese Richtung: man wird einander befragen können übers momentane Ergehen, Auskünfte einholen über das Zeitverständnis der Tiefseefische und über die Unsterblichkeitsvorstellungen der Eintagsfliegen. Das alles wird so leichtfüßig, behände und geflügelt vonstatten gehen, dass niemand etwas dabei finden wird, wenn ein Erdwurm seine melancholischen Zustände darlegt oder frisch Verliebte den Kohlweißlingen vorschwärmen, wie köstlich es sich anfühle, Schmetterlinge im Bauch flattern  zu haben.

In kommenden Jahrhunderten wird der globale Diskurs der Lebewesen eine Selbstverständlichkeit darstellen, prognostiziert Michaux. „Wie schön sie doch sind, die kommenden Jahrhunderte.“[1]

Versäumnis oder doch eher Verlust?

Viele Berichte aus früheren Zeiten halten fest an einer Verständigung, die zwischen Tieren und Menschen möglich gewesen sein soll. Als hätten Tiere in menschlicher Sprache geredet und als wären Tieren menschliche Laute so vertraut gewesen wie Bellen, Schilpen, Quaken, Krähen usw. Und umgekehrt.

Künftige Jahrhunderte, meint Michaux, werden fassungslos der Tatsache begegnen, dass es Phasen in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, wo Funkstille herrschte zwischen Tier und Mensch. Man wird keine Schuldzuweisungen machen, aber gewiss verblüfft  darüber sein, dass es trotzdem z.B. Künste gegeben hat, dass völkerübergreifend musiziert wurde. Shakespeare, Proust, Dante, Giotto, Musil, Leonardo werden diese noch ungeborenen Generationen in helles Entzücken versetzen. „‘Was!‘ wird man sagen, ‚nur mit Mann und Frau als Thema haben sie es geschafft, so viel und sogar so gut zu schreiben!‘“[2]


[1] zit. aus Rainer Wieland, Das Buch der Tagebücher, 140. H. Michaux, Ecuador. Reisetagebuch 1994

[2] zit. aus Rainer Wieland, Das Buch der Tagebücher, 140. H. Michaux, Ecuador. Reisetagebuch 1994

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