Im Zuge der Ausarbeitungen zum Thema „irren & verwirren“ kam wiederholt die unvermeidliche Frage nach möglichen Zielsetzungen. Die Motive schienen auf der Hand zu liegen: eine spielerische Freude am Verrätseln und Enträtseln, allgemeiner gesagt am Enthüllen und Verhüllen, an einer Art Versteckspiel, in dem Verbergen und Entdecken, Versuchen und Erfinden in eigentümliche Wechselbeziehung geraten. Das sind Motive. Aber solche privaten Beweggründen rechtfertigen doch noch keinen öffentlichen Auftritt.
Natürlich ist aus der langen und vielfältigen Geschichte der Kunst bekannt, dass zum Beispiel Duchamps, Arcimboldi und viele andere in ihrer Produktion auf Verblüffung, auf Irritation der Betrachter abzielten.
Auch der Hannoveraner Kurt Schwitters und der Club der Dadaisten, mit denen er sympathisierte, gehören dazu, zählen unter die Possenreißer einer Kunst, die aufstören und beunruhigen will.
Aber ist die Inszenierung von Verwirrung heute noch notwendig, in einer so tief beunruhigten Zeit, wo Irritationen aller Art geradezu überschwemmen? Führt es nicht zu einem platten Abklatsch von Realität, wenn zu einer aus Vexierbildern zusammengesetzten Welt, wie sie uns heute umgibt, durchdringt und erfüllt, noch weitere Vexierbilder geliefert werden?
Nun – die hier ausgestellten Bilder liegen nicht auf der Linie einer Kunst mit vorwiegend didaktischen Absichten. Sie wollen nicht eigentlich unterrichten oder unterhalten, weder erhellen noch Geheimniskrämerei betreiben. Allerdings schlagen Spuren solcher Tendenzen immer wieder durch. Sie ergeben sich aus dem nicht auszuräumenden Ideal einer hilfreichen und heilsamen Kunst. Ihr steht entgegen die Auffassung einer Kunst, die nichts leisten oder verfolgen und schon gar keine Lebenshilfe sein möchte.
In der aktuellen Bildproduktion wechseln sich diese Strebungen ab.
Ein Einstellungschwenk oder Richtungswechsel kann in ein und demselben Bilde geschehen (sein).
Schließlich drängt sich noch eine weitere Frage auf:
könnte es der Fall sein, dass mit der Thematisierung von irren-und-verwirren, dass mit den hier gezeigten Arbeiten gar nicht durcheinander gebracht, sondern zu einer – allerdings noch nirgends greifbaren – Ordnung gerufen werden sollte? Keine bestimmte oder beschreibbare Ordnung, aber doch so etwas wie ein Arrangement, dass dann so stehen bleiben kann, weil es irgendwie „stimmt“?
Wahrscheinlich ist Ihnen jenes skizzierte Profil einer alten Frau bekannt, das nach längerem Anblick sich auf einmal als junges Mädchen mit einer großen Fellmütze zeigt.
Oder Darstellungen von Halbkugeln, die mal konvex, mal konkav erscheinen.
Faszinierend an diesem Bildtypus ist das jähe, in keiner Weise vermittelte Umschlagen, also ein im stehenden Bild plötzlich erfolgender Ruck.
Mit den Mitteln optischer Täuschung, mit malerischen Illusionstechniken haben Maler seit jeher gearbeitet. Von den Impressionisten wurden sie eingesetzt, im Bereich der Farbwahrnehmung, im Surrealismus auf dem Gebiet der Linearperspektive und so weiter. Escher war ein Meister darin. Bilder vom Typus des Vexierbildes, des Trompe-l’oeil, schließlich auch des Phantombildes tauchen in allen Kunstepochen und Stilgattungen auf.
In der Malerei der griechischen Antike wetteiferten die Maler, wenn man der Anekdote glauben darf, darin, nicht nur das menschliche Auge durch nachgeahmte Gegenstände zu täuschen, Blumen, Früchte, Vorhänge, sondern auch die angeblich instinktsichere Wahrnehmung von Tieren, zum Beispiel von Vögeln, in die Irre zu führen.
Der Grundbedeutung nach meint irren sich rasch und ziellos bewegen. Im Extremfall eine Art Raserei, auf jeden Fall eine Form von Erregung, vielleicht eine Grundform, die erst nach und nach ihren Rahmen findet, temperiert und geschlichtet. In Bewegung bringen, in Erregung versetzen, rennen, rieseln, rinnen. Wasser bietet vielfältige Anschauungen und Modelle, Bilder und Vorbilder für Abläufe, die solch einem irren entsprechen. Es nährt Pflanzen und Wolken, bringt Quellen und Ozeane eben dadurch hervor, dass es sich immerfort verliert.
Der Plan, auf dem das Universum beruht, würde zunichte, hielten nicht Irrsal und Wirrsal alles im Lot.
An ihr Verdienst erinnern die Monstren und Drachen, die in manchen romanischen Kirchen die Basis der Säulen abgeben, auf denen das ganze Kirchenschiff ruht.
Aus Irrsal und Wirrsal – so übersetzt Martin Buber das hebräische Tohuwabohu des biblischen Schöpfungsberichts – entsteht alle Welt. Und mehr noch:
die bestürzenden Chaos-Ungeheuer wirken im Hintergrund, im Untergrund fort und halten das Universum in Gang.