das Werk

das Werk

Es könnte überall stehen. Es ist beweglich, so dass es sich an den unterschiedlichsten Orten einsetzen lässt. Darin gleicht es den heutigen industrial plants, die in Mexiko oder an der Grenze zu Polen hochzogen werden, wenn Konjunktur und Arbeitsmarkt wieder einmal eine Produktionsverlagerung gebieten. Aber das ist schon die einzige Übereinstimmung mit diesen mobilen Plantagen einer stets auf dem Sprung und Absprung befindlichen Technik. Die Strukturen des Werks sind bedeutend zarter, gehen ins Filigrane und lassen vor allem Nutzen, Zweck und Sinn der Einrichtung offen.

Auffällig ist die serielle Anordnung der Kammern, aus denen das Werk hauptsächlich besteht. Sie machen die Struktur aus, gliedern die ganze Anlage in einer fast geometrischen Gangart. Die Wände dieser Kammern – oder sollte man besser von Zellen oder kubischen Waben sprechen – grenzen an einen sehr dunklen Farbton, den man für schwarz halten könnte. Doch beim längeren Ansehen verfärbt er sich in Ocker, nimmt einen grasgrünen Schimmer und einen Glanz an, der an opale Topase erinnert. Doch ist man sich von vornherein gewiss, dass die Wände aus einem vollsynthetischen Material hergestellt sind. Das schließt etwa aufkommende edlere Einschätzungen aus. Denn alle Dinge, denen man in den Kammern begegnet, spielen mit dem Anschein des Kostbaren und Erlesenen, aber ohne es selber zu sein. Es geht offensichtlich um die Herstellung kostbarer Zustände, die über einem billigen und massenhaft gefertigten Material schweben wie immer blühende künstliche Blüten über einem Beet oder Acker aus Steckschaum, in das ihre Stengel hineingespießt sind.

Beim Betreten der Räume, die alle gleich groß sind, deren Volumen nur mit der Füllung, mit den darin platzierten und postierten Rätselwesen variiert, beim Betreten dieser Kammern werden Volumen betreten, die allesamt in der Ferne weiße Ausschnitte zeigen. In weißen Ausblicken, wie durch aufgelassene Fenster, öffnet sich weit Entferntes, das in diesen abstrusen Würfeln seine Fortsetzung, oder wenn man so will, sein Anheben, seinen Ort der Anbetung hat.

Vielleicht wurden hier früher Garne gedreht oder Seile gezogen. Könnte auch sein, es wurde Reep geschlagen. In den Gängen hängen noch Fäden davon herab. Es sind keine Spinnweben, keine verblichenen Ranken, es sind in der Tat Garne und Schnüre, die aus unerfindlichem Anlass und Grund in den Raum hereinhängen, den der Betrachter durchschreitet.

Illusionen sind nicht meine Sache. Niemand verfällt ihnen gerne. Aber hier, beim Durchgang von Kammer zu Kammer, erlangen sie eine bedrohliche Nähe. Als würde man sich im Abakus bewegen, der bis auf Pythagoras zurückgehen soll. Es ist wie ein Gang durchs Rechenzentrum, durch die gelöteten Platinen einer alten Rechenmaschine. Alles ist hier Gleichnis von Apparatur. An Urim und Thummim wird man erinnert, an den Brustlatz, aus dem Aaron und seine nachfolgenden Propheten und Priester den Willen des Himmels errechneten oder ersahen. Die Söhne Jakobs waren durch edle Steine repräsentiert. Die Erden, von denen es im Universum vielleicht mehrere gibt, durch Würfel, die ein entsprechender Becher auswerfen konnte. Die Schicksale steckten in einer Lotterie, wo die Lose erst noch gezogen werden mussten. Das klingt einigermaßen vernünftig, aber ist doch Illusion, nicht wahr?

Im Werk wandern die Sonnen, sobald wir in die Unterwelt hinabgekommen sind, als schwarze Rundungen aus Filz über den Himmel. Der Himmel ist wiederum weiß.

Verdrahtete Zeichenfolgen, das Kreuz und das Tawzeichen eingeschlossen, wandern beim Begehen des Werk ans uns vorbei. Sie geben Rätsel auf. Wir können sie leider nicht lösen.

Bei leichten Beben, die aus der Erde oder vom Wind kommen können, fängt das Werk an, zu summen und zu singen. Es sind schwache Töne, wie aus einer Babyrassel oder aus einem Schwamm, der mit Geräuschen vollgesogen war und nun ausgewrungen wird.

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