wir und ich

Eine merkwürdige Scheu, in einem Essay zum Beispiel von wir zu reden: „wir kommen jetzt zum nächsten Punkt….“
Aber noch größer sind die Hemmungen beim Einsatz des ich.
Während das wir einen übergriffigen Eindruck erwecken könnte, klingt ich wie Bekenntnis, in der Lyrik wie Seelenbeichte, in fiktionaler Erzählung schmeckt es nach Wichtigtuerei. Es könnte den ichzentrierten Blick verraten, den man natürlich auch in der dritten Person, als diese dritte Person nicht eigentlich los wird.
Aber eine gewisse Zurückhaltung, auch wenn sie ganz formal geübt wird, steht nicht schlecht an.
Jedenfalls sind mir beim Schreiben Selbstmitleid oder Eitelkeiten aller Art zuwider – auch wenn ich in der Tat von solchen Anwandlungen mitunter strotzen kann. Aber ‚protzen‘ mit ihnen? nein!

Musil hat da anscheinend eine probate Lösung gefunden.
„Versuche einen anderen Menschen zu finden“ lautet bei ihm eine Überschrift. * Und dann:
Ich wird in diesem Buche weder den Verfasser bedeuten, noch eine von ihm erfundene Person, sondern ein wechselndes Gemisch von beidem.“ Anschließend erläutert er die Motive für sein Vorgehen.
Der Verfasser des “Mann ohne Eigenschaften“ gibt einen bemerkenswerten Grund für seine Absicht, in der Schwebe zu bleiben, weder dem Autor noch der Figur zugeschlagen werden zu wollen: „Ich habe keine persönliche Überzeugung, noch die Absicht, mich zu einer Romanfigur zu machen, als welche ich ein Charakter sein müßte; denn ich will keiner sein. Sondern so, wie ein schlechter Mensch mit fremdem Geld kühner spekuliert als mit eigenem, will ich meinen Gedanken auch über die Grenze dessen nachhängen, was ich unter allen Umständen verantworten könnte; das nenne ich Essay, Versuche.“*

*) R. Musil, Aus den Tagebüchern, ed. K.M. Michel, 136

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