Proportion

Der Gedanke der Proportion als einer Grundlage harmonischer Natur- und Weltverhältnisse hat die Männer der Renaissance, insbesondere Leonardo lebenslänglich verfolgt. Die Idee ist nicht verkehrt, aber die damit verbundenen Vorstellungen einer stabilen und statischen Korrelation der Glieder und Bestandteile ist es. Sie ist falsch, weil sie zu kurz fasst und die dynamische Proportion weitgehend außer Acht gelassen hat. Einen Eindruck von solch einer dynamischen, im Prozess sich ereignenden und sich durchsetzenden Proportionalität gibt die Musik. Der Goldene Schnitt hingegen zeigt eine ideale statische Proportion. Das Auge erfasst die Gleichzeitigkeit der harmonischen Anordnung oder Aufteilung. Aber Proportion ist nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit denkbar als ein ungleichzeitiges Nacheinander, eine Abfolge, die Stunden, Tage oder sogar Jahre durchläuft und gekennzeichnet ist durch die Setzung von Punkt und Kontrapunkt, von Satz und Gegensatz.
Wenn Leonardo Bewegung als Grundprinzip alles Lebendigen erkennt, ist der Gedanke einer dynamischen Proportion darin bereits angelegt und setzt sich fort in der Achtung einer sinnvollen und sinngebenden Natur – Natur als sinnvolle Unterweiserin und Stifterin sinnhafter Erkenntnisse und Einsichten. In der Annahme einer solch sinnfälligen und sinngebenden Natur ist dann die Entdeckung proportionaler und harmonikaler, allerdings in ständiger Transformation befindlicher Verhältnisse ganz selbstverständlich und ‚natürlich‘.

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