„Ein Mensch, der sich noch nie gesehen hat.“ *
Von wem redet hier der Autor? Von einem anderen oder von sich selbst?
Offensichtlich schaltet / scheidet er Spiegel, reflektierende Oberflächen und dergleichen grundsätzlich aus. Er erkennt sie nicht an als Medien, in denen ein Mensch sich sehen kann.
‚Sich sehen’ meint wohl eine Konfrontation, die über die Begegnung mit dem schattenhaften eigenen Spiegelbild oder Lichtbild (Foto) hinausgeht. Angedeutet wird ein Vollzug, der außerhalb der üblichen Sichten und Sehweisen liegt.
„Hast du nicht gesehen?“
„Nein, ich war mir zu rasch, ich hab mich nicht sehen können.“
Das ist immer wieder so. Die Eigenansicht: zu flugs, im Fluge da, im Fluge wieder davon.
„Ich hab nichts von mir sehen können.“
„Könnte es sein“, wird gefragt, „dass du gerade eben, im flinken Verschwinden, noch deinen Rücken erspäht hast?“
„Ja, könnte sein, etwas Flatterndes, ein Zipfel, ein paar Fransen, könnte ein wehendes Ende gewesen sein.“
Es ist ein wenig wie beim Blitz, der für einen kleinen, aber bedeutenden Augenblick nur sein Echo hinterlässt, den Donner.
*) Elias Canetti, Nachträge aus Hampstead, Zürich 1994, 35
Was haben dir alle Menschen voraus?
Dass sie dich sehen, ohne dass du dich je vor Augen bekommst.
Aber lass mal. Sie sind nicht zu beneiden. Es ist ein hauchdünner und obendrein problematischer Vorsprung, mit dem sie davoneilen.
Das Auge der anderen ist ein spezifischer Spiegel – ein Seelenspiegel, dem keiner entgeht, ob er nun seinen Wiederschein in den Augen-Blicken der Mitmenschen annimmt oder nicht. Selbsterkenntnis ist gebunden an diese Reflexion: die Selbstsicht muß sich brechen an der Wahrnehmung durch die Anderen. Das ist eine Beugung von Angesicht zu Angesicht.