Gedanken

Gedanken kommen, Gedanken gehen,
sie segnen das Zeitliche oder lassen es ungesegnet.
Manche gleichen einander. Oder ist es eher ihr Habit, das sie einander ähnlich erscheinen lässt? Über ihre Individualität muss man immer wieder staunen, aber auch über ihre Kunst, sich zu verstellen.
Unsere Seelen haben viel von ihnen gelernt und haben weiterhin viel von ihnen anzunehmen: zu wandern, unverdrossen und unbeirrbar, in der Zerstückelung ein akzeptables Auskommen zu finden, auch in der Not erfinderisch zu sein, immer wieder den angelegten Zwangsjacken zu entschlüpfen, den Systemen und Normalitäten (Diese kleiden sich sehr verschieden, aber es ist immer derselbe Leerlauf, der sich unter bunten Mützen und unnachgiebig befestigten Stoffen verbirgt).
Seit es Gedanken gibt stellt sich immer wieder die Frage, woher kommen sie, woher kommt ihr?
Manche fallen mit der Tür ins Haus. Andere klopfen an. Wenn man hinausschaut, sind sie vorbei, einfach weitergegangen. Es bleibt ein Rätsel, warum. Warum sie angeklopft haben und warum sie gleichsam wortlos weitergegangen sind.
Manche kommen auch lärmend daher, rasselnd von leeren Töpfen und Dosen, die sie im Vorbeifahren anhängend haben.
Den Wert eines Gedankens vermag kein Mensch zu bewerten. Oft sind es die nichtsnutzigen, an die man sich später mit Wonne und Wehmut erinnert.
Oder sie sind es selbst, die Erinnerung zitieren, in Erinnerung rufen.
Der Einfachheit halber würde man gerne scheiden beispielsweise in gute und böse, zuträgliche und abträgliche, belastende und beflügelnde. Aber es lassen sich keine z w e i Klassen aufmachen, auch keine d r e i Kategorien oder v i e r Sorten. Das liegt an ihrer bereits erwähnten Fertigkeit, sich (und einander) zu verstellen und zu verwandeln.
Dieser Kunst oder List ist kein menschlicher Verstand gewachsen.
Momentane Erfahrung lehrt zwar, zu unterscheiden zwischen aussaugenden Gedanken, die einem Menschen den letzten Blutstropfen rauben, und solchen, die Odem, die Lebenskraft einhauchen (man heißt sie Inspirationen). Aber tatsächlich weiß man niemals voraus, wie eine Gedankenbegegnung verläuft, wie sie ausgehen wird. Sie ist ja niemals abgeschlossen oder endgültig. Es bleibt immer ein Türchen, ein Fenster, eine Dachluke, ein Kellerspalt, durch die ein scheinbar vergangener Gedanke wieder zurückschlüpft. Und dann kann es sein, dass dieses Wesen, das vorher der Wirtsperson die Haare vom Kopf und das Fleisch von der Hand fraß, sich auf einmal als guter Hausgeist entpuppt.
In einer Gedankenbegegnung, im Gedankengang, im Austausch mit ihnen ist jedes Mal erneut alles offen.
Ihre Anwesenheit beunruhigt zuweilen, man empfindet ihr Kommen und gehen als Last. Und doch ist es so, dass sie bei all diesen Veranstaltungen ungemein anregend, ja erheiternd sein können und sich durch sie (oder mit ihnen) eine Munterkeit, ein Tatendrang einstellt, den man diesen windigen Gesellen niemals zugetraut hätte.

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