Gedankenerfahrung

Gedanken wiederdenken, ohne zu wissen, dass sie bereits gedacht worden sind, mehrfach, vielfach. Wahrscheinlich ließen sie sich gar nicht denken, wenn sie nicht irgendwann schon gedacht worden wären. Aber auch nicht wenn man von ihnen schon gehört oder gelesen hätte. Erst die scheinbar völlige Unkenntnis gestattet ein Ahnen, in dem sie dann auftauchen, diese alten, diese uralten Gedanken. Sie erinnern an Nachtvögel, an Eulen, die in ihrem Flug durch das Dunkel nicht das geringste Geräusch verursachen: „Es ist wichtig, alle großen Gedanken wiederzusagen, ohne zu wissen, dass sie schon gedacht worden sind.“ *
Doch weshalb wichtig?
Um ihnen erneut Geltung zu verschaffen?
Um ihnen den Hof zu machen, oder auch nur den Hof zu fegen für sie?
Vielleicht.
Aber es könnte auch darum gehen, sie einmal in allernächster Nähe zu erfahren und zu erleben, wie klein sie sich machen können, wie sie sich in einer Nussschale zusammenziehen, in einem Nichts menschliches Maß annehmen, um es im selben Moment auch zu sprengen; das Nichts, den Moment und das Maß.

*) Elias Canetti, Nachträge aus Hampstead, 19

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