Bis vor kurzem noch konnte man unter Umständen der Auffassung sein, es genüge, selbst Erfahrungen gemacht zu haben von Flucht, von Entwurzelung und den Bedrängnissen nach Ankunft in der neuen Welt, um Verständnis, wenn nicht Mitfühlen zu entwickeln für Flüchtlinge und ihre Schicksale heute. Aber weit gefehlt. Das Beispiel der protestierenden, gegen die Zuwanderer demonstrierenden Russlanddeutschen beweist etwas anderes: die Erfahrung allein genügt nicht – sie muss reflektiert und buchstäblich zu Herzen genommen werden. Sonst bleibt man geängstigt und herzlos, wie die demonstrierenden Russlanddeutschen in diesen Tagen bestätigen.
Möglicherweise steckt hinter diesem Protest auch die Furcht oder Kränkung, trotz Strebsamkeit und Anpassungseifer in dieser Gesellschaft nicht für voll genommen werden. Gegenfrage: wer wird hier schon für voll genommen? Aber wo eine schmerzhafte Vergangenheit nicht persönlich aufbereitet wird, bleibt eine verbitterte, eine friedlose Unversöhnlichkeit zurück mit allen anderen, doch auch ein verheimlichter Hader mit sich selbst.
mein vater kam aus ostpreussen, nach wildem umherirren und suchen kam er in den nachkriegswirren hier in Hannover an. er erzählte,wie es ihm unterwegs gegangen war, es schnürte einem das herz ab. viel später, längst integriert in die hannoversche schrebergartenszene ging es eines tages am stammtisch hoch her, über dahergelaufene, die hier um aufnahme ersuchen. mein vater redete nie viel. jetzt sagte er sehr klar und knapp in eine gesprächspause hinein: ich war auch mal ein dahergelaufener. ich war auch einmal froh, hier aufgenommen zu werden. es wurde sehr still. einer kriegte sogar einen roten kopf.