Ja und Nein

Gerne würden sie die ganze Welt unter sich aufteilen, diese beiden.

Dann bin ich die Eins und du die Null, sagen sie zu einander und werden sich nicht einig, wer die Null und wer die Eins sein darf. Denn nur dann könnten sie die Welt unter sich aufteilen. Wie Null und Eins: die lenken und steuern kybernetisch die ganze Welt, die beiden, allein durch Computer und Programme.

Im Dunkel des menschlichen Innern wohnt das Herz. Es schlägt den Lebenstakt, ist hart wie Stein und weich wie Wasser, ein großer Tropfen in menschlicher Brust, ein faustgroßer Eisklotz im Brustkorb. Hartgekochte, starrgesottene Herzen gibt es und andere, weich wie ein Ei.

In den Kammern des Herzens lebt Leben. Ein Geschehen, dessen Quellort manche auch schon in der Zirbeldrüse, in  der Hirnrinde oder in irgendeinem der Hirnlappen entdeckt und geortet haben wollen.

Warum die Rede vom Herzen?

Weil im Schatten des Herzens, den es im Dunkel des Inneren wirft, Ja und Nein wohnen und niemand sonst. Sie bestimmen den Herzschlag, das eine die Kontraktion, die den Blutstrom durch die Adern treibt, das andere die Ausdehnung, die das Blut ins Herz hineinsaugt. Man kann auch sagen: das eine das Pochen, das andere die Pausen dazwischen, die Intervalle, die ein Pochen vom anderen trennt.

Das Wunder des Herzens und seiner Tätigkeit, seines lebhaften Wirkens, liegt in der erstaunlichen Verknüpfung, in der unbegreiflichen Zuwendung, die es dem Nein gibt und dem Ja gibt – und niemandem sonst. Denn es ist wissend und einfältig zugleich, dieses zugleich uralte und kindliche Herz, das pochend vorauseilt, zurückgeht, vorauseilt, zurückgeht …

Dadurch gelangt es, das Herz, und niemand sonst, zu einer unverworrenen Erkenntnis, zum leuchtenden und einleuchtenden Maß künftiger Welt, offen für alles Werdende, sei es vergangen oder zukünftig.

„Das Herz ist ganz im Dunklen, ganz allein, möchte man sagen, und weiß ganz allein alles besser. Nur wenn man dahinter sieht, findet man die Erkenntnis; weil die verwirrenden Lichter der ganzen Welt nicht hingelangen; und es wie das Maß einer andern Welt in uns lebt; als Ja oder Nein: sonst nichts.“[1]


[1] Rahel Varnhagen, zit. n. Jüd.Kal., 32. Jg., 25. Mai 2015

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert