Träume

Ein Freund erzählte, das ist schon über dreißig Jahre her, er habe in einer psychotischen Phase erlebt, als sei er in sich selbst versetzt, an einen runden Tisch in seinem Kopf.
Es herrschte dort ein unaussprechliches Stimmengewirr von denen her, die um diesen Tisch herum standen und saßen. Für ihn, den Träger dieses Kopfes, gab es keinen freien Sitzplatz mehr. Er musste stehen. Alle redeten durcheinander. Ein ungeheures Palaver, ein uferloses Plappern und Zwischenrufen. Da sagte der was und da sagte die was und das hatte auch noch was zu sagen.
Nur ihm selbst, in dem sich das abspielte, hatte es die Sprache verschlagen. Er kam nicht zu Wort an diesem runden Tisch. Alle waren so beschäftigt mit ihrer Meinungsbekundung, dass auch sein verzweifelter Versuch, kurzerhand auf den runden Tisch zu springen um sich von dort bemerkbar zu machen, an den Rücken der Diskutanten scheiterte, die um den Tisch herum einen undurchdringlichen Wall abgaben.

Es scheint, als seien wir in eine neue Phase der Traumdeutung gekommen, meint man, oder der Traumbefragung, bescheidener gesagt. Es ist schlicht zu viel, unsinnig viel, was man träumt. Es bedürfte eines Heers fest angestellter Interpreten, um hier angemessen auszulegen.
Alles hat irgendwie Bezug und Belang mit fernen oder entfernten Gegenständen, mit versunkenen Gegenden und Angelegenheiten. Doch die Abläufe sind so, dass sie die eigene Achtsamkeit, das persönliche Reagieren auf das Traumgeschehen nicht nur übersteigen, sondern offenbar weder einfordern noch benötigen. Es sind keine persönlich adressierten Botschaften, sondern eher so, als träten entlegene Stationen miteinander in Kommunikation, mit der die Träumerin nicht das geringste zu tun hat. Manchmal beschleicht einen das unbehagliche Gefühl, man höre Gespräche ab, die für diese Ohren überhaupt nicht bestimmt sind. Es ist, als würden Bilder gesehen und Szenen, die anderen zugedacht sind. Als wäre man eingeschaltet in Vorgänge, die andere Instanzen aushandeln.

So kann es gelegentlich in der Tat dem grellen Stroboskopspiel in einer psychotischen Phase gleichen.
Als wüchsen wir individuell hervor aus einem in sich irgendwie zusammenhängenden Untergrund. Wie Pilze schießen wir daraus hervor und der Boden, über den wir uns erheben und den wir schon gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen mit seinen Wellen, Erschütterungen und durchlaufenden Strömen, hat sein eigenes Leben und teilt sich mit. Eine Nacht ruft der anderen zu, ein Tag gibt dem anderen Nachricht. Das hat schon der Verfasser des Psalms gewusst, Ps. 19, 2.

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