Gott sieht

Vor Gott sei nichts verborgen, heißt es. Gott sieht. Insbesondere sieht er ins Verborgene.* Da nützt keine Geheimhaltung, kein Versteckspiel, wie Adam es seinerzeit unter den Bäumen des Gartens versuchte. Mit der Gewissheit dieses alles durchdringenden Sehens setzt beim Menschenkind das Gewissen ein. Es gibt keinen Fleck, kein Pünktchen, das diesem Sehen nicht ausgesetzt wäre.
Es kommt hinzu, dass dieser sichtende Seher selbst unsichtbar, ja unerforschlich und verborgen bleibt. Ein Deus absconditus, ein Gott im Geheimen. Wir könnten auch sagen Deus in abstruso.
Ein in unvorstellbare Entlegenheiten entrückter Gott, in abstruso, in abstracto.

Gott sieht im Verborgenen, doch nicht in einer abseitigen oder überweltlichen Verborgenheit, sondern im menschlichen, dem Menschen selbst weitgehend unzugänglichen Innern.
Dies Innere, ein kryptisches Absconditum, eine geheime Krypta in jedem Individuum, ist der eigentliche Raum, in dem Gottes Sehen am intensivsten, am dichtesten ist. Wenn dieser Ort in uns nicht so unerforschlich, nicht so ‚abstrus‘ wäre, dann könnten wir darin – wenn überhaupt irgendwo – das Sehen Gottes sehen, sein Zusehen, wie er uns ansieht, wie er uns nachsieht usw.

Dabei meint abstrus auch eine Latenz, wie sie für das Reich der Himmel angenommen werden kann. Das alles ist schon hier und jetzt, aber eigentlich doch erst im Kommen. So wie man von ‚Gegenwart‘ zu Recht sagt, dass die Lebenszeiten mit ihren Jetzt und Hier und Heute davon eigentlich nur einen Vorgeschmack liefern.

*) Matthäus 6, 6; 4; 18

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