Naturforschung als Selbsterforschung

Die frühen Naturforscher waren getrieben von dem Verlangen, herauszufinden, was es mit uns als Gattung und als Einzelnen eigentlich auf sich hat. Von Anbeginn ein – wie wir heute sagen würden – psychologisches Interesse, eine Fortsetzung oder Verlängerung der kindlichen Neugier, die in Erfahrung bringen möchte, woher die Kinder kommen. Die Frage nach der Herkunft haben die genealogischen Systeme der Mythologie weniger zu beantworten als zu schildern versucht. Die Anfänge der griechischen Naturphilosophie bedient sich dieser Dynamiken. Auch ihr geht es in erster Linie um die Beschäftigung mit dem Menschheitsrätsel Mensch. Dieses Rätsel ist ein Gleichnis und kann nur parabolisch, also gleichnishaft behandelt werden. Die Abspaltung der Naturwissenschaften bahnt sich in der Renaissance an. Das Kernthema der Alchemie ist die Selbstfindung oder Selbstreproduktion des Menschenwesens. Das ist mit dem Lapis, dem Stein der Weisen angestrebt, lange vor der technischen Fabrikation von Gold. Vergleichbares gilt für die Himmelskunde, die Astrologie, aus der durch strenge Beobachtung und mathematische Berechnung die astronomische Wissenschaft hervorgeht.
Bei Pico della Mirandola (1463-1494) bekommt man den Punkt zu fassen, in der die Wissenschaft vom Menschen und die von der Natur noch ineinanderstecken. Bei der Betrachtung des griechischen Lichtgottes Apoll, den er ebenso sehr als Philosoph wie als Seher einschätzt, kommt er auf jenen berühmten Spruch zu sprechen, der überm Eingang des Apollotempels in Delphi stand: „Da ermuntert uns das gnothi seautón, das heißt ‚erkenne dich selbst‘, und treibt uns an zur Erkenntnis der gesamten Natur, deren Zwischenglied interstitium wie auch Mixtur cynnus die Natur des Menschen ist.“*

*) Pico della Mirandola, Über die Würde des Menschen, Lateinisch-Deutsch, übers. v. N. Baumgarten, 26/27

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