Entfernungen

Die südfriesischen Inseln sind von Jütland und der Nordspitze, wo Hamlets Schloss gestanden haben soll, weit entfernt. Sie liegen im Steinhuder Meer, eine neben der anderen, eine bunte Reihe, die einander den Dünensand zuspielen (wenn der hiesige Wind mitmacht). Sie sind bislang unbewohnt geblieben. Feriengäste und am Ufer ansässige Fischer ignorieren sie beharrlich. Vielleicht kommen sie ihnen bei ihren Segelfahrten und Aaljagden in die Quere oder zu nah, um ihre Ferne zu spüren.

Auch Britannien ist weit weg, wo Angeln und Sachsen aus der Sächsischen Schweiz eingewandert sind. Heute sind sie alle Briten und erstrecken sich bis zu den Shetlandinseln und darüber hinaus.
Was die Moore betrifft, die früher in unseren Gegenden überall und heute nur noch stellenweise sind, so sind sie ohne großes Aufhebens gewichen. Ihr Torf haben sie an Gärtnereien abgegeben, die schwarze Erde darunter an die Landwirtschaft, die aber auch gerne Obstanbau betreibt. Dann blühen nah und fern die Apfelsorten weißblütig mit rosa Schimmer, ein wenig darunter die Heidelbeeren als Spalierobst, dann kommen schon bald die Brom-, Him- und Erdbeeren, mal in dieser mal in jener Reihenfolge.
Auch Kartoffeln finden ihre Liebhaber und Verbraucher. Es gibt auch hiervon wohlmeinende Sorten, die zum Teil sogar ins EU-Programm passen. Gerne werden sie von Wildschweinrudeln ausgegraben. Sie essen die Knollen, ohne sie lange vorher zu prüfen. Ihre Urahnen haben sie gegessen, damals, als fast noch Weltkrieg war und kein Jäger ihrer Vermehrung Einhalt gebot. Und sie essen sie, obwohl sie Kartoffeln schon seit der Entdeckung Amerikas essen. Sie sind dieser Speise nicht über geworden.

Zwischen den Bergspitzen, die sich in Schottland erheben, vielfach abgerundet durch ehemalige Gletscher, und den Bergspitzen Kilimandscharo oder Ararat klaffen Entfernungen, die sich ordnen lassen in gewisse und in beträchtliche.
Zwischen der höchsten Erhebung des Harzgebirges und dem Brocken klafft eine nur geringe Entfernung. Dafür gibt es eine große Nähe zwischen diesen höchsten Punkten. Sie ist so groß, dass sie sich praktisch aufhebt.
Die Entfernung zwischen Ararat, wo die Arche des Noahs mit all den Tieren und seiner Familie gelandet ist, also zwischen Ararat und Kilimandscharo ist beträchtlich, aber keineswegs gewiss.
Sie ist auch nicht ungewiss, sondern irgendwo dazwischen.

Entfernungen können riesengroß sein, Entfernungen können es in sich haben.
Manche Entfernungen, wie auch manche Abstände oder Näheverhältnisse, sind relativ.
Frankfurt am Main ist vom Engadin, in Nanosekunden gemessen, mehrere Ewigkeiten entfernt. In Flugstunden gesehen ist diese Distanz in mehr oder weniger zwei Stunden zu bewältigen. Schmetterlingflug dauert länger. Das ist relativ.

Entfernungen fordern Abschiede ein. Oft vermisst man, was sich gerade entfernt hat. Es geht verloren und der Schoß der Zeit, in den es sich verliert, ist kein Fundbüro.

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