Desillusion

Wer in die Ferne aufbricht, führt immer auch und notwendigerweise unerfüllbare Sehnsüchte mit sich, eben weil die in der Kindheit erlittenen Trennungs-Verluste, das Verlorene und Zurückgelassene in keinem Erwachsenenalter wettgemacht werden können. Die weite und ferne Fremde bietet sich mitunter als Projektionsfläche an und gibt dem Spiel, dem Gaukelspiel von Illusionen Raum, die sich dann als Täuschungen, als Selbsttäuschungen erweisen und daher besonders schmerzlich sind.
Solche Kränkungen und Desillusionierungen gehören dem Erfahrungsgut der Moderne an. Sie führen eine Ernüchterung herbei, die es ermöglicht, sich in dieser Welt zurechtzurücken und ihr gleichsam in die Augen zu blicken. Jetzt begegnet man ihr mit Augenmaß und in Augenhöhe, ohne Überhöhung der einen oder anderen Seite.

Vereinzelt hat es derartige Ernüchterung auch schon in früheren Zeiten gegeben. So, „wenn sich an Ort und Stelle die ‚Imagination‘ nicht erfüllen wollte.“ Im Tagebuch seiner ‚Italienischen Reise‘ notiertGoethe 1786, enttäuscht über den Eindruck, den ihm die Stadt Vicenza gibt: „Hier ist was zerstört, hier was angekleckst, hier stinckts, hier rauchts, hier ist Schmutz pp., so in den Wirtshäusern, mit den Menschen pp.“ *
In einer späteren, für eine bildungsbürgerliche Öffentlichkeit bestimmten Fassung mäßigt er diesen Ausdruck von Frustration. Dort werden diese zornigen Worte durch selbstkritische Reflexion ersetzt, indem er meint, „daß man nicht sich verwundern muß, wenn alles ist, wie es ist.“*

*) zitiert aus dem Nachwort von Hans Bender zu Das ‚Insel Buch vom Reisen‘, 270

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