Propheten

Propheten sind von alters her. Sie sind Sprecher von Ewigkeit her, ap’aionos.
Im griechischen Altertum wurden sie auch Seher genannt. Sie sehen in Zeiträume hinein, die dem gewöhnlichen Blick längst entschwunden oder noch gar nicht aufgetaucht sind. Auffällig viele Seher sind blind gewesen, also ohne den gewöhnlichen Blick. Sie haben im Anblick der oft ungeheuerlichen Gesichte ihr Gesicht verloren. Vielleicht kann man sagen: Gesichtslosigkeit, das Fehlen eines eigenen Gesichts ermöglicht überhaupt erst die Vielzahl der Gesichte, lässt sie erst zu, diese Schauungen und Visionen, von denen sie berichten.
Allerdings sind Propheten nicht nur Seher, sondern auch Hörer. Das Wort ist eine Sache, die für manche sichtbar wird, für andere hörbar. Es wird zur Sache, zu einer Anschauung.
Propheten befürworten das, was sie hören, was ihnen von höchster Instanz her gesagt worden ist.
Sie sind die letzte Instanz in der Weitergabe von Informationen mahnender oder erinnernder, vorsorgender oder ermunternder Art.
Es gibt sie von Ewigkeit her. Daher kennt niemand ihre Anfänge, nicht einmal sie selbst können bis dorthin zurückschauen oder zurückhören. Sie fühlen, dass da in einer Art Ursprung etwas anbricht, etwas ausbricht und mit seinen Stoßwellen sich durch die Zeiten hindurch fortsetzt, eine Art seismischer Erschütterungen. Es ist irgendwann ausgebrochen, um in jeder Gegenwart erneut spürbar, fühlbar zu werden.
Der Weg vom Hören zum Sprechen scheint erst einmal kürzer zu sein als der vom Sehen zur Schilderung des Gesehenen, zur Darstellung der Vision in mitteilbaren Bildern. Worte und Sprache müssen eingeschaltet werden zwischen die Schau und die Bilderfolge, in denen die Vision dargestellt wird. Ein Übersetzungsvorgang, der den Propheten dichterische Fähigkeiten abverlangt.

Vielleicht ist das, was die hörenden Propheten vernehmen, auch weniger Wort als Geräusch, ein aus dem Großen Rauschen hervortönendes Geräusch, das Übersetzung einfordert.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die ersten Dichter zugleich Propheten und die Propheten von Anfang an nicht Sprecher, sondern Sänger waren.
Im Einst, heißt es, fußen sie, um aus dem Zeitenschoß Antlitz und Stimme zu erheben.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert