Menschen als Künstler

Niemand würde bestreiten, dass auch Künstler Menschen sind. Der umgekehrte Schluss hingegen scheint von Zeit und Zeit, von Epoche zu Epoche strittig – alle Menschen, jedes Individuum sei Künstlerin oder Künstler.
Und doch: eine unseren menschlichen Fähigkeiten angemessenere Berufung gibt es nicht. Eine, die mit den natürlichen Fähigkeiten nicht bloß in Konflikt und Widerstreit liegt, oder gar Schindluder treibt wie gewisse spezialisierte Wissenschaften und verwertungshungrige und rationalisierungsgeile Techniken, sondern die Gaben der Natur auf sanfte Weise entwickelt und aus vorgängigen Rohzuständen löst.
Von Freiheit, mit der die Stockwerke beginnen, die zwar Natur zur Basis haben, aber in gleichsam übernatürlicher Weise über sie hinausliegen, also von Freiheit gibt es keine bessere und angemessenere Erfahrung als die, die künstlerisches Schaffen verschafft. Im schöpferischen Sinnen, Träumen, Denken und Tun scheint ein Moment von Befreiung zu liegen.
Das mag der Grund dafür sein, dass der Schöpfer des Universums und aller Geschöpfe die Menschen nach seinem Bilde konzipiert haben soll, jeder einzelne ein originaler Entwurf, sozusagen Handarbeit, ‚nach dem Bilde Gottes‘ und durch ihn selbst, das Urbild aller Künstlerinnen und Künstler, geschaffen.

In der Antike, im alten Griechenland und in Rom, haben klügelnde und neidische Philosophen und Sophisten diese Hauptberufung aller Menschenwesen dadurch bestritten, dass sie künstlerische Produktion herabgedrückt haben auf das Niveau von Handwerk und Manufaktur. Es soll nicht bestritten werden, dass diese Elemente zu den Fertigkeiten gehören, die zur künstlerischen Berufung gehören. Aber sie machen die Berufung nicht aus. Die Axt macht keinen Zimmermann und der Löffel keinen Koch.
Im Prinzip gehört auch philosophisches Fragen zur Künstlerexistenz und –mentalität. Und doch trifft Musils Feststellung den Nagel auf den Kopf: „Das Philosophische (in mir selbst D.B.) irritiert mich. Ich leide unter dieser Vermengung.“ *
Auch das naturwissenschaftliche Forschen und Denken nimmt im Künstlersein seinen Raum. Hierfür gibt Leonardo in seinen Aufzeichnungen, Skizzen und ‚Inventionen‘ unterschiedlichster Art einen genialen Kronzeugen ab. Inventionen sind, nebenbei bemerkt, immer auch Interventionen, humane Eingriffe in zuweilen unterirdisch und unterschwellig laufende Prozesse.

Es könnte übrigens eine Art durchgängiges Entbehren sein, das Menschen zu Künstlern macht und ein Nichtwissen, das beide zusammenführt. „Ich muß gestehen“, bekennt Musil in seinen Tagebüchern, „daß ich – trotzdem ich glaube ein Künstler zu sein – nicht weiß, was das ist.“ **
In ein ähnlich gelagertes und ausgebreitetes Nichtwissen teilen sich Künstler und Menschen überhaupt. In den künstlerischen Menschen kommt dieses Nichtwissen zur Besinnung, es führt Überraschungen und Verwunderungen herbei, die ihre Verkörperung oder Bezeichnung in Akten und Aktionen, in Handlungen und Artefakten erhalten. Sie haben das Gepräge von Antworten, aber sie fragen zurück. Die Gültigkeit einer Antwort ist daraus zu erspüren, dass sie zurückfragt und ein Entwickeln und Ausrollen des Stoffes erwünscht, des Materials und der Träume, aus denen wir selber gemacht sind.

*) Robert Musil, Aus den Tagebüchern, Ausw. Karl Markus Michel. Ffm.: Suhrkamp 1965, 32
**) Musil, ebenda

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