Vergehen verewigen

Bilder bilden etwas Gegebenes ab. Alles hat seine Zeit, heißt es im Buch Kohelet („Versammler“).
Das Gegebene vergeht. Vergänglichkeit gehört zum Wesen aller Dinge, der menschengemachten wie der naturgegebenen. Malerei rühmt sich, den Augenblick festzuhalten. Im Stillleben hält sie aber nicht nur den Augenblick fest, sondern vergegenwärtigt auch sein Vergehen. Erscheinen und Verschwinden sind die Pole, zwischen denen das Stillleben hängt, aufgehängt ist.
Man könnte als Anspruch der Stilllebenmalerei formulieren, Vergänglichkeit in ihrem Vergehen zeigen und gleichzeitig festhalten zu wollen. Ein offensichtliches Paradox, ein Widersinn, aus dem das Stillleben seine Spannung bezieht, aus der es „lebt“.
Hier liegt ein ganz anderer Anspruch, eine völlig andere Intention vor als etwa in der Historienmalerei oder, jedenfalls ansatzweise, auch im Portrait. Die Bildnismalerei, also das Portrait, spielt mit dem Gedanken der Unsterblichkeit eines Individuums. Jedes Individuum ist in der Einzigartigkeit, in der es vom Maler dargestellt wird, auf Ewigkeit zumindest angelegt – als Menschenwesen.
In der Stilllebenmalerei setzt sich dagegen ein memento mori durch, eine Erinnerung daran, dass alles Erscheinende, alles, was sich dem menschlichen Auge zeigt und physische Gestalt annimmt, dem Verfall verschrieben ist. „Mitten im Leben sind wir vom Tod umwunden“, heißt es in einer mittelalterlichen Liedzeile“. Die Stilllebenmalerei geht noch einen Schritt weiter: „mitten im Leben sind wir vom Tod durchdrungen“.

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