Stillleben entstehen im Nahbereich und aus diesem. Die Nähe gibt den Raum, in dem sich das Stillleben abspielt. Das unterscheidet sie von allen anderen Genres der Malerei, der Portraitmalerei ausgenommen.
Nahbereich bedeutet „zum Greifen nah“. Es bedeutet, dass die Hände, jedenfalls der Möglichkeit nach, sich mit einbringen beim Aufstellen oder Umstellen der Objekte. Sie sind mit im Spiel, auch wenn sie auf dem Bild unsichtbar bleiben. Diese Form der Beteiligung ist charakteristisch. Sie gilt auch für die eingesetzten Dinge, für die „Requisiten“ des Stilllebens. Sie können zwar fremdartig, ja exotisch sein, Südseemuscheln oder Kuriosa aus fernen Ländern und Kulturen. Aber in diesem Augenblick sind sie ganz nahe und kommen sie auch ganz nahe. Dem Maler obliegt es, eben dieses Nahen dem Betrachter des Stilllebens nahezubringen. Das Ensemble, der unter Umständen in sich inkompatible Zusammenhang der Stilllebenelemente soll in seiner Dynamik dargestellt, präsentiert werden. Dokumentation geht auch, aber Präsentation betont die Gegenwärtigkeit, die Lebendigkeit der „toten Natur(en)“. Das hat nichts mit Täuschung oder Illusion zu tun, sondern entspricht dem Charakter der herbeigezogenen und hereingenommenen Gegenstände. Sie sind gleichsam verwunschen und der Kunst gelingt es, sie daraus zu erlösen und zum Ausdruck zu verhelfen, sie zum Sprechen zu bringen.
Also: das „Inventar“ des Stilllebens, es mag ursprünglich von weit her kommen, stammt ebenfalls aus dem Nahbereich, in dem das Stillleben gemalt wird. Es bildet eine Konstellation oder eben ein Ensemble. In diesem relativ flüchtigen Augenblick, der auf dem Papier oder der Leinwand festgehalten wird. Die Flüchtigkeit des Arrangements unterstreicht dann den charakteristischen Vergänglichkeitsaspekt, der sich oft auch im Sujet selbst ausgedrückt findet: herabgefallenes welkes Laub, verfaulendes Obst, Knochen, Leichname von Tieren und ähnliches mehr. Wie ein „still“ im filmischen Bereich zeigt das Stillleben einen Ausschnitt aus einem Prozess, der allerdings – im Unterschied zum „still“ – stark verdichtet und symbolisch aufgeladen zu sein pflegt.