Bei geschlossenen Augen sinken wir in den Schlaf zurück und tappen mit herabgelassenen Lidern im Finstern, um das Augenlicht vor Verletzungen zu schützen.
Man verschließt die Augen vor Gräueltaten und schließt sie beim Küssen, beim Überwältigtwerden durch eine höchste Lust.
So, als könnte der Blick in das Antlitz der geliebten Person diese Lust eher stören als steigern.
Bei geschlossenen Augen kommen den Menschen, sogar den sonst teilweise Blinden, Gesichte.
Sie kommen aus einer sonst nicht sichtbaren, aus einer inneren Welt, die erst bei herabgesenkten Lidern aufleuchtet, gleichsam bei zugezogenen Vorhängen sich erhellt.
Man hat das Augenlicht mit dem der Sonne verglichen: die Sterne am nächtlichen Himmel werden erst sichtbar im Schatten der Erde.
Auch vor dem Spiegel verschwindet das eigene Antlitz bei geschlossenen Lidern. Außer schwachen Nachbildern bleibt nichts vom Anblick zurück. Dieses Verlöschen bringt Schlaf und Schlaf bringt seinerseits Gesichte und Bilder, unter denen alles sich zeigt und zu zeigen vermag, außer dem Antlitz der Schlafenden selbst, wie sie mit geschlossenen Augen daliegen, schlafen.
Es gibt Personen, die Hemmungen haben, vor anderen Menschen die Augen zu schließen, in der Bahn, im Flieger, im Bus. Sie nehmen die Hand vor die Augen. Als machte der Lidschluss ohnmächtig, durch fremde Blicke verwundbar. Sorge, die oder das nicht sehen zu können, was sie seinerseits und ihrerseits sieht.
In der Tat verliert ein Antlitz mit geschlossenen Augen ein wenig von seinem persönlichen Ausdruck.
Sein Aussehen nähert sich unmerklich dem einer Maske an.
Darin kommen Entzücken und Entsetzen, Schmerz und ekstatische Lust einander physiognomisch sehr nahe. Die extremen Gefühls- und Gemütslagen prägen ein mimisches Stereotyp aus, das sich nicht nur bei der einen oder anderen Person, sondern in überindividueller Ausprägung findet. Als wäre den großen, den leidenschaftlichen und überwältigenden Gefühlen und Anwandlungen nur ein einziges, kaum noch variierbares Grundmuster gegeben. Aus diesem Gedanken heraus sind die griechischen Theatermasken entstanden, mit aufgerissenen Mündern und Höhlen, Augenlöcher, die eigentlich leer sind und den glasigen blicklosen Blick aus Lust und Entsetzen am besten markieren.
Zuletzt wäre noch ein weiteres Gebiet zu erwähnen, wo das Augenschließen eine Rolle spielt. Die neu Eingeweihten in gewisse religiöse Riten und Geheimnisse nannte man im Altertum Mysten. Man leitet es von griechisch myo ab, ich schließe die Augen, da den Neulingen oder Adepten während der Initiation geboten war, die Augen geschlossen zu halten. Übrigens auch die Lippen. Es sollte kein Wort gesprochen werden. Doch ganz ohne Laut konnte und sollte diese Prozedur ja nicht abgehen. Die griechische Sprache hat my als einen solchen Laut, der aus dem zur abdeckenden und verschließenden Maske gewordenen Gesicht hervorbricht: my ist, wie unser gestöhntes ah, eine Interjektion des Schmerzes wie auch der Lust. Es zeigt, wie schwer die Äußerungen der heftigsten Emotionen auseinander zu halten sind und lässt den Verdacht aufkommen, Schmerz und Lust seien einander auch innerlich ähnlicher und verwandter, als wir gewöhnlich wahrhaben.