Zeitalter

Zeitalter um Zeitalter vergeht. Da reiht sich eins hinter dem anderen, läuft eins dem andern voraus und hinterher. Ein Gänsemarsch: eins vor zweien und mehreren, eins hinter zweien und mehreren, wir zwischen zweien und mehreren.
Der Drang ist stark, der Zug noch stärker.
Wir schaffen den erforderlichen Ausgleich.
Das kann niemand sonst, denn niemand sonst ist an unsrer statt zur Stelle.
Wir heben die Arme und senken sie in einem guten Takt.
Ein eingespielter Rhythmus, der Kolbenfresserei verhindern soll.
Tut den Gelenken gut. Bewegung nährt durch Verbrennung. Assimilation der Räume, die unsere Körper umhüllen.
Das ist gut. So wächst von außen immer neuer Raum nach und zieht neue Brennstoffe und höhere Essenzen hinter sich her.

Es soll goldene Zeitalter gegeben haben, silberne, Zeitalter in Edelmetall.
Doch auch sie sind gealtert, gerostet, zerstoben.
Allerdings haben aus ihnen Spurenelemente, ja Sporen auf rätselhaften Wegen zu uns gefunden. Mit ihnen lassen sich Augenblicke anrühren und Momente erwirken, die ein hinreißendes Aroma ausströmen. Ein Duft, der an Frische und Intensität nicht eingebüßt hat.

Es ist der reine Alterungsprozess, der die Zeitalter zum Vergehen bringt.
Zwischendurch mag es Sintfluten, Götterdämmerungen, Naturkatastrophen und scheinbare Weltuntergänge geben. Aber es ist reine Einwirkung von Zeit, die den latenten Prozess der Verbrennung und schließlichen Einäscherung befeuert.

Ein großes Kommen und Gehen.
Kommen sie wirklich von den Sternen?
Steigen sie, wie man früher gedacht hat, aus eigenem Antrieb aus den Milchstraßen herab in unsere doch vergleichsweise kleine, sie mächtig einzwängende Welt? Sie werden von dort, woher sie kommen, eine nahezu grenzenlose Weite und Freiheit gewohnt sein.
Hier, innerhalb der bescheidenen Horizonte, die ihnen auf unserem Erdball vorgeschrieben sind, können sie bestimmt nicht so ausholen, wie sie könnten und gewiss auch wollten. In dem, was wir Zeitgeist nennen, nehmen sie eine relative und für ihre Verhältnisse ungemein geringe, ja demütigende Gestalt an. Es ist ein freiwilliges Exil, in das sie sich bei vollem kosmischen Bewusstsein begeben. Die Sendung, die sie sich wahrscheinlich selbst auferlegt haben, mutet ihnen diesen Schrumpfprozess zu. Sie verlangt von ihnen, in die irdische Geschichte hinabzusteigen wie durch den Hals einer ballonförmigen Flasche. Kaum sind sie darin, wird das Ganze hinter ihnen zugestöpselt. Nicht zu vergleichen mit einem gewöhnliche Korken aus Kork oder Glas, sondern eine Art Ventil, das gegebenenfalls Nachschub ermöglicht, weitere Zufuhr an Quintessenz oder Äther, aber nichts mehr herauslässt.
Auch dies geschieht von unbekannter Geisterhand.
Dann haben sie im Flaschenbauch und unter uns eine Zeitlang ihr Wesen. Sie spenden die Essenz, die in unsere Künste und Wissenschaften einfließt und das Leben erst eigentlich erblühen lässt. Das macht, dass wir einander erkennen können als Zeitgenossen, eingemeindet durch den gemeinsamen Odem, der durch unsere Nervenzellen bläst. Wir gewinnen Ahnung über Ahnung voneinander. Wir achten einander sogar, nicht nur aus Not und Vernunft. Wir lieben und hassen uns stärker als die Genossen- und Körperschaften der Zeitalter vor uns. Ihnen haben wir die Teilhabe an einer rätselhaft vergehenden Leiblichkeit, an einer unschätzbaren Gegenwart voraus. Sie hält Leib und Seele zusammen.
Hin und wieder hat es den Anschein, wir seien die Leiber der bunten Schatten, die sie uns aus großer Entfernung zuwerfen.
Doch im Übrigen sind wir der stillen Meinung, dass die Kette der Zeitalter im unsrigen gipfelt und mit dem unsrigen auch aufhören wird. Hat es nicht schon endlos gedauert, über alles Zeitempfinden hinaus?
Das Folgezeitalter gibt es nur vom System, von der Systemlogik her.
Aber diese Logik teilen wir nicht, jedenfalls nicht in den Tiefen unsres Gemüts, wo es so hell und warm ist, weil die wahre Zukunft dort hineinscheint. Sie bricht mit dem Zeitalter an, in das wird dann eintreten werden. Es ist im Herzen jenes überweltlichen Universums gelegen, dem all die Windstillen und Geiststürme entquellen, die durch unsre irdischen Zeitalter wehen.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert