„Die Gedanken geben den unsichtbaren Bewegungen des Innern eine willkürliche Form.“ *
Nicht alle. Es kommen auch Gedanken vor, die leer ausgehen. Dann sterben sie schnell ab, Die anderen, die im Innern eine zu ihnen passende, ihnen irgendwie gemäße Bewegung gefunden haben, überleben. Sie machen die Bewegung sichtbar, die nun in ihnen ist. Sie lassen sie durchscheinen und entführen sie aus dem Innern. Sie erinnern an Sagenhaftes. Sie gleichen den Störchen, die noch ungeborene Kinder aus dem Sumpf ziehen und den Frauen einpflanzen mit ihren langen roten Schnäbeln. Sie suchen gut vorher aus, was sie in den Uterus pflanzen. Sie sind bedacht und wählerisch sowohl im Hinblick auf den Lebenskeim, den sie aus dem Sumpf ziehen, wie auch auf das weibliche Wesen, dem sie sie es einsetzen. Ein willkürlicher Vorgang. Willkürlich und spontan auch die Form, zu der das winzige Wesen erwächst.
Sind es wirklich Störche, sind es wirklich Gedanken?
Jedenfalls würden wir ohne sie jeder lebendigen Vorstellung von den unsichtbaren Bewegungen im Innern entbehren. Es ist sogar denkbar, dass unsere Unwissenheit hinsichtlich dieser Bewegungen im Quellbereich unseres Innern dazu führen würde, dass dort drinnen nichts weiter wäre als Wüste, Staub und Totenstille.
*) Robert Musil, Prosa, Dramen, Späte Briefe, 682