Gelingen

Zu den rätselhaftesten Phänomenen, die wir kennen, gehört das Gelingen. Es hat mit Glücksgefühlen und Sinnerfahrungen zu tun. Gelingen ist so viel wie glücken und in jedem Glück zeigt sich Gelungenes. Es kommt als Bestätigung von innen heraus und dehnt sich über die ganze Welt aus, die es auf einmal klar und voller Zusammenhang zeigt. Ein gelingendes Moment beweist alles in einem hellen, in einem ganz eigenen Licht, manchmal wie in einem Blitzstrahl, mitunter auch lange anhaltend, länger als ein wolkenloser Tag oder eine sternklare Nacht.
Alles Gelingen wird von Erstaunen und Verwunderung begleitet. Eine Anerkennung, die es ganz unwillkürlich findet. Als wäre das Geschehen, das einem nun in einem vielleicht ganz winzigen Punkt die Augen für die großen Horizonte öffnet, genau so gedacht und vorgesehen gewesen.
Es ist diese grandiose Treffsicherheit, die einen erstaunt.
Es hätte ja genauso gut daneben gehen können! Die Wahrscheinlichkeit, dass eintraf, was sich da getroffen hat, war unendlich gering. Manchmal nicht größer als wenn in einem verdunkelten Raum zwei Nadelspitzen sich auf einander zubewegen und einander begegnen in genau dem Punkt, wo Spitze auf Spitze stehen kann.
Gewiss, ein ungetrübtes Glücken ist selten und verbietet sich schon von den Umständen her, in denen sich Stimmiges und Unstimmiges, Falsches und Richtiges zwangsläufig mischen. Aber das Gelingen schlägt eine Lichtung in diese Verstrickungen und obskuren Gemengelagen. Es leuchtet für einen Augenblick die großen Strukturen aus, die im Nahbereich so diffus und durcheinanderwirbelnd erscheinen.

Wahrscheinlich ist „gelingen“ mit „gelangen“ verwandt. Es führt dahin, dass man anlangt, an einem bestimmten und passenden Ort ankommt: in einer An-Gelegenheit, ganz nah bei sich selbst. Dieses Eintreffen löst ein spezifisches Entzücken aus, das übrigens allem wirklichen Erleben, jeder lebendigen Erfahrung innewohnen könnte, aber sich nicht immer offenbart. Es ist, könnte man sagen, gebunden an ein Inneres oder an einen Grund, die einem auf Normalität geeichten Bewusstsein, einer auf Ökonomik eingestimmten Wahrnehmung, einer haushälterischen Vernunft nicht so leicht vorkommen und zugänglich werden.

Das Entzücken muss aus dem Grund, in dem es schlummert, erlöst, gleichsam wachgeküsst werden.
Dies geschieht im Vorstoß zu einem Netzwerk von Signaturen, das den Lebens- und Weltengrund durchwebt. Das im Gelingen erfolgende Durchdringen oder Hinabtauchen auf den Grund, in dem die Dinge ihre Signatur haben und aus dem sie entquellen, ist im eigentlichen Sinne Kontemplation. Vom Wort her meint Kontemplation das Sichten und gleichzeitige Erfassen der Erscheinungen in ihrem ‚heiligen‘ Bezirk. Mit heilig ist die Würde des Ortes oder des Raumes gemeint, in dem sie sich zeigen. Eine sublime, eine Ehrfurcht einflößende und allein mit dieser Ehrfurcht betretbare Region. Ehrwürdig. Man zieht die Alltagsschuhe aus und geht barfuß. Aber auch das ist keine Regel. Für manche heißt es, das Haupt zu bedecken, für andere, den Hut abzunehmen, den Scheitel zu entblößen. Die aus der Ehrwürde dessen, was da spürbar oder anschaulich wird resultierende Ehrfurcht geht häufig dem Entzücken voraus, das einen bei gelingender Begehung des heiligen Bodens, der erhabenen Stätte befällt. Staunen oder auch Schrecken, Rührung und Erschütterung verwandeln sich. Sie sind die Emanationen des ‚Heiligen‘. Aus ihnen kommt – und darin liegt der eigentliche Sinn des Gelingens –ein heilsames Geschehen und Wirken.

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