intime Geselligkeit

Lange vor der Erfindung der multiple personality bemerkt Canetti in seiner Biographie:
„Seit dieser Zeit, also seit meinem zehnten Lebensjahr, ist es eine Art Glaubenssatz von mir, dass ich aus vielen Personen bestehe, deren ich mir keineswegs bewusst bin. Ich denke, sie bestimmen, was mich an Menschen, denen ich begegne, anzieht oder abstößt. Sie waren das Brot und das Salz der frühen Jahre. Sie sind das eigentliche, das verborgene Leben meines Geistes.“*
Es sind keine realen Personen, die in die kindliche Seele Eingang gefunden haben, sondern literarische Figuren, Märchengestalten, Bühnenfiguren, also Gestalten, gemischt und gemixt aus Dichtung, Wahrheit und kindlicher Imagination. Sie geben die Entwürfe ab für eine innere Geselligkeit, die ganz natürlich und notwendig in Kontakt und Austausch gerät mit Menschen, die Canetti im Laufe seines Lebens begegnen, die mit ihm zu tun haben, mit denen er sich auseinandersetzt. Die wunderbaren, so überaus lebendigen, eigentümlichen Portraits, die er in seiner Lebensgeschichte liefert, haben Anteil an seinen vielen inneren Personen. Sie sind in der Tat Zeugnisse und Erzeugnisse des verborgenen Lebens eines Geistes.

*) Elias Canetti, Die gerettete Zunge, München/Wien: Hanser, 1977/1980, 127

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