In seiner Lebensgeschichte charakterisiert Canetti den russischen Dichter Isaak Babel mit der merkwürdigen Feststellung:
„er musste Menschen erlernen“ .*
Er musste, nicht weil sie ihm schwerer zugänglich waren als irgendeinem anderen Menschen, sondern weil er gar nicht anders konnte. Dieses Müssen ergab sich nicht, wie Canetti zuvor betont, aus dem Wunsch, sie bessern oder ändern zu wollen (was allerdings ein gewisses Bescheidwissen voraussetzt). Was ihn unter Menschen trieb, war eher eine Art Hunger, ein wahrer Menschenhunger. Canetti kennt ihn aus eigener Erfahrung. Auch bei ihm war er nicht zu sättigen.
Wenn es nicht satt macht, wenn es auf keine konkreten Erfolge aus ist, wenn sich mit diesem Lernen kein Wissensbestand aufhäufen lässt, wenn es nicht klüger und nicht gelehriger macht – wozu taugt dann dieser seltsame, dieser umtreibende Trieb, Menschen unentwegt ‚erlernen‘ zu wollen? Landet man nicht auch damit man Ende im Grab, an einem vermutlich ungeselligen Ort?
Und dennoch – die Menschenverächter haben nicht recht, die aus diesem Grunde raten, lieber das Alleinsein zu lernen, weil jeder den Tod in eigener, in unteilbarer Einsamkeit stirbt.
Es wäre ja denkbar, dass Menschlichkeit, aus anderen Menschen und mit ihnen erlernt, am Ende und über das Ende hinaus zählt. Und dass alles Eigene und Alleinsame abfällt, verwest und nur das weiterhin gilt, was man von anderen hat oder was man ihnen hat geben können.
*) Elias Canetti, Die Fackel im Ohr, München: Hanser 1982, 346