Lernstücke

„Man lernt nur von denen, die ganz anders sind als man selbst. Man beruhigt sich an den Verwandten.“ *
Die anderen leben und lehren das, was einem selbst fehlt. Sie verkörpern Desiderate, also Eigenschaften, die einem persönlich abgehen, die man aber heimlich und sehnlich begehrt. Doch: das einmal angenommene Fremde läuft zuweilen Gefahr, nie wirklich in Fleisch und Blut überzugehen. Vorteil und Nachteil zugleich, weil es bedeutet, daran und daraus lebenslänglich weiter zu lernen. Die Lektion hingegen, die Verwandte erteilen (gemeint sind die Verwandten im Geiste), kommt besser an. Einmal angekommen, sitzt sie.
Es ist unser Glück, dass die Geistesverwandten stets Gastgeschenke aus der Fremde mitbringen. Sie breiten sie (und sich) in unsrer besten Stube aus, in der Herzwunderkammer. Lehr- und Lernstücke. Bald sind sie dort heimisch und einer, der sich zuvor für ihren Wirt halten mochte, kehrt fortan bei ihnen als Gast ein.

*) Elias Canetti, Nachträge aus Hampstead, Zürich 1994, 34

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1 Antwort zu Lernstücke

  1. rebsch sagt:

    Das Problem, dass Canetti nicht nennt, ist das Folgende: Man beruhigt sich bei den Verwandten nur darum, weil man sie nach dem eigenen Bild von sich und ihnen modelt. Ihr Andersein wird überblendet. So scheinen sie vertraut und man kann sich im Einverständnis mit ihnen wähnen in allem, was man so denkt. Das Fremde am scheinbar Vertrauten wird heimelig gemacht. Dieser Modus der Entfremdung bleibt dem Selbst verhaftet und haftet für Irrtümer, gegen die man sich blind gemacht hat. Vom Fremden und von Fremden lernt man ebenfalls nur dann, wenn man mit dem Rätselhaften an ihnen leben kann.

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