1983 träumt Canetti von einer Welt „mit Sinnen, die zu keinem Zweck dienen, mit blühenden Landschaften, uralten Häusern, hellen Tieren, atmenden Bergen, schlafenden Gewässern, unverständlichen Sprachen, eine Welt, die sich durch ihre Rätsel, durch sie allein fortsetzt und zu Ende geht, wenn einer sich anmaßt, ein einziges ihrer Rätsel zu lösen – wäre das eine Welt?“ *
Eine Welt, in der wir umlernen müssten – sofern wir nicht ihren Untergang wünschen.
Abstand nehmen von einer Anmaßung, als deren Protagonisten wir bedauerlicherweise Ödipus zu sehen haben. Natürlich hat er das Rätsel der Sphinx überhaupt nicht gelöst. Aber durch seine Anmaßung und rhetorische Verwegenheit in der Formulierung hat er die Nachwelt bis heute überzeugt. Noch heute meinen wir, er habe die Lösung (oder die Lösung) gefunden und uns so vom rätselstellenden Monstrum erlöst.
In Wirklichkeit hat seine Antwort alle anderen Lösungsspielarten mit einem Schlage getilgt. Durch den dabei eingebrachten herrischen Gestus hat er die faktische Unlösbarkeit des Sphinxrätsels glatt überstimmt. Das freie und bunte Spiel der Möglichkeiten ist durch einen Akt der Willkür verdorben. All das hat die Sphinx in den Abgrund gestoßen, sie, die unserer menschlichen Natur wie kein anderes Wesen entspricht.
Elias Canetti, Aufzeichnungen 1973-1984, München/Wien: Hanser 1999, 104f.