das Schweigen der Zeilen

denn dieses Schlimme hat doch die Schrift,
Phaidros,
und ist darin ganz eigentlich der Malerei ähnlich:
Denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend,
wenn man sie aber etwas fragt so schweigen sie gar
ehrwürdig still.
Und ebenso auch die Schriften.

Platon

Eine Stimme, kaum vernehmlich.
Eine Stimme spricht aus der Stille,
kommt von zwischen den Zeilen:
Das Gedicht,
sagt es,
würde dich gerne hören,
sagt sie,
die Stimme.
Ich höre, sage ich,
ich bin das Gedicht.
Ich kann dich sehen, sagt das Bild.
Ich schaue dich an.
Hör gut zu.
Hebe den Stift und blicke zurück.
Die Hand am Stift.
Sie geht spazieren, ein Blinder an dünnem Faden
Fingerspitzen hüpfen über die Buchstaben. Sie tanzen.
Ungeordnete Tänze, Feuertänze, Veitstänze, Schütteltänze, Polonäsen.
Das Auge – ein losgelassener Blindenhund tollt
durchs Bild.
Langsam, sage ich, hier geht es lang.
Heute redest du laut, sagt das Bild.
Bloß ein Selbstgespräch, sage ich,
führe gerade ein Selbstgespräch
durch die Gegend spazieren, verstehst du?
Heute ist schlecht zu verstehen, sagt Stimme.
Ich rede gegen das Schweigen an, sagt sie.
Bist du das Schweigen oder eine Spielart davon? frage ich.
Macht weiter so, sagt das Bild, dann wird man schon sehen.
Hier bin ich, ruft es,
das Rätsel –
aufgepasst, Phaidros!
psst!
Platon,
wir sind unterwegs zu dir …

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