In der okzidentalen Geschichte hat sich, ebenso versteckt wie kontinuierlich, ein schamanistisches Moment durchgesetzt.
Canetti* macht darauf aufmerksam, dass die Tätigkeit, „einen Menschen zerlegen und anders zusammensetzen“, als „Schamanismus“ zu sehen sei.
Unter diese Prozeduren fallen beispielsweise die anatomischen Wissenschaften, die Sezierkunst, mit der neuzeitliche Medizin und Körperkunde anhebt.
Darunter zu rechnen wären ferner die zahlreichen konstruktiven Verfahren, die häufig bereits im Ansatz eine dekonstruierende Absicht erkennen lassen: Dekonstruktion als disziplinierte Destruktion (‚diszipliniert’ ist auch, aber nicht nur zu fassen im Sinne von schulmäßig, akademisch, wissenschaftlich).
Vermutlich wären etwa auch die psychoanalytischen Verfahren dem Schamanismus zuzurechnen.
Schamanismus, als eigentlich „archaische Ekstasetechnik“ (M. Eliade), hat in das neuzeitliche Bewusstsein auf eigentümliche Weise Eingang gefunden: als mentale „Anlage“ mit der Fähigkeit, sich wie von selbst auseinander zu nehmen und anders wieder zusammen zu setzen. Diese Prozeduren können, müssen aber nicht von Selbstreflexion initiiert und begleitet werden. Jedenfalls bietet das schamanische Vermögen, verborgen im Kern eines fundamental humanen und zugleich animistischen Erbes, eine Ars Magna, eine große Verwandlungskunst auf.
*) Elias Canetti, Aufzeichnungen 1973-1984, München/Wien: Hanser 1999, 7