am Wegesrand

Es sind die Wegränder, die einen Weg interessanter machen können als den Weg selbst.
Sie bilden einen vagen Zwischenbereich, wie eine Küste zwischen Meer und Festland, zwischen Wasser und Erde. Einen Horizont. Dieselbe Beweglichkeit, ein ähnliches Auf und Ab.
Für jemanden, der konzentriert vorwärts strebt, ganz auf ein vorgenommenes Ziel ausgerichtet, spielen Wegränder keine Rolle. Höchstens als Seitenstreifen, die nicht befahrbar sind. Sie haben die Bedeutung etwa von Vektoren, einer links, einer rechts. Der Blick geht daran entlang, es ist, als könnte man sich daran festhalten: ein Geländer im sonst offenen Gelände, in einer Landschaft, die nur wenig Orientierung und Anhaltspunkte denen bietet, die auf schnellstem Wege vorankommen möchten.
Die schnellsten Weg führen strikt und stracks gerade aus.
Man hält sie daher für die kürzesten Wege.
Seitenblicke lenken ab und verzögern. Bei rascher Fahrt in einem Fahrzeug werden sie sogar zur Gefährdung, stellen eine Fahrlässigkeit dar. Man könnte vom Wege abkommen, könnte die Herrschaft über Lenker und Steuer, über Fahrrad und Fahrzeug verlieren.
Den Rändern eingeschrieben sind Bremsspuren und missglückte Überholmanöver.
Die Füße unzähliger Vorangegangener haben sie getreten, vor allem jener, die von der Mittelspur abgewichen sind, vielleicht auch nur, um Überholenden oder Entgegenkommenden aus dem Wege zu gehen.
Immer wieder findet sich dort auch Weggeworfenes, Büchsen, Plastik, Scherben. Unter viel Müll auch manches Verlorenes. Dazwischen strahlen Wegwarten blauäugig an, Lackreste, abgesplitterte Chromleisten, abgesprungene Radkappen. Viele Dinge, die einem den Blick zur Seite hin verleiden.
Also schaut man gar nicht erst hin oder gleich darüber hinweg.
Die großen Straßen haben ausgeprägte Ränder. Sie verlieren sich bei den Wegen, je unbedeutender, je schmaler diese werden.
Bei den Pfaden, die man Saumpfade nennt, gehen sie schließlich gänzlich verloren.
Oder anders gesehen: dort haben sich nur noch die Ränder, eben die ‚Säume’ erhalten, während das, was einen Weg im Prinzip ausmacht, darin wie verschluckt und verschwunden ist.
Der zeitweilige oder temporäre Charakter der Saumpfade macht sie so reizvoll. Es sind im Extremfall unbegangene, noch nie betretene Wege. Sie führen aus dem Nirgendwo ins Irgendwo, in ein Einst, dessen Lage sich aus einem Jetzt ins andere verschiebt und nicht ermitteln lässt. Ein sonderbares Ding, das immer wieder narrt, von dem man wünscht und hofft, dass es dadurch weise machen kann.

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