„Jetzt wissen wir“, sagen die Jünger zu Jesus, „dass du alles weißt und nicht nötig hast, dass jemand dich fragt; deshalb glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.“ Johannes 16,30
Was hat es auf sich mit dem ‚absoluten‘ Wissen Jesu, das nicht darauf angewiesen ist, ‚abgefragt‘ zu werden?
Die Bemerkung der Jünger legt einen spezifischen Zusammenhang von Wissen und Gefragtwerden vor. Gerade so, als ob normaler- und natürlicherweise Wissen, um zu bestehen und zuzunehmen, darauf angewiesen sei, herausgefordert, beansprucht, in Frage gestellt zu werden.
Jesu Wissen ist nach Aussage der Jünger darüber erhaben. Es steht über der Dialektik, befindet sich gleichsam oberhalb der Austauschprozesse, aus denen ’normales‘ menschliches Wissen erwächst und denen es sich, um ‚am Leben‘ zu bleiben, fortwährend aussetzen muss.
Dieser Vorrang, ein Status a priori, verweist auf die göttliche Herkunft seines Trägers.
Er – und es – repräsentiert, ja personifiziert die Weisheit Gottes. Bei den Hebräern ist dies Chokmah, bei den Griechen Sophia. Diese ist en arché, als uranfänglich vorhanden ‚gewusst‘. Es bildet, nach biblischer Auskunft, die schöpferische Bedingung, Grundlage und Vorlage von allem was war, ist und sein wird.
Ein Problem besteht nun darin, dass dieses „jetzt wissen wir“ nicht von Jesus selbst, dem als ‚allwissend‘ vorgestellten, gegeben wird. Es kommt von den Jüngern, aus der beschränkten ‚Wissenschaft‘ der Gefolgsleute Jesu.
Damit entsteht ein Paradox vom Typus des Epimenides, des Kreters, der die Behauptung aufstellt, „alle Kreter lügen“.
Man wird den Jüngern Jesu, in der Mehrzahl Galiläer, keine Unwahrheit unterstellen wollen. Aber als Wahrheit bleibt ihre Aussage zweifelhaft.
Sie kommt aus einem Wissen, das außer Stande ist, ‚absolutes‘ Wissen zu bezeugen.
Im Rahmen menschlicher Wissenschaft, sei sie nun fröhlich oder tragisch, bleibt bereits die Annahme eines absoluten oder göttlichen Wissens hochproblematisch und notwendigerweise fortwährend umkämpft.
Dennoch spricht sich in der Feststellung, „du weißt und hast nicht nötig, dass jemand dich fragt“, eine bemerkenswerte Erkenntnis aus. Es ist die eigentlich erstaunliche Einsicht in die unbedingte Frag-würdigkeit menschlichen – und sei es auch ‚gott’gegebenen – Wissens.
Die Erkenntnis, dass es nur in Korrelation und als Reaktion auf Fragen, auf Wissenwollen von ‚anderer Seite‘, auf ein forschendes Begehren hin auftreten, existieren, in immer neuen Antworten Gestalt annehmen kann.
Noch ein letzter Gedanke: vermutlich gibt es überhaupt kein echtes Wissen als Bestand, kanonisch oder niedergelegt in irgendeiner Form, sondern es ist immer eines, das aus dem Fragen, aus den Fragenden kommt und geht, bereits in der Frage Gestalt annimmt, sich darin buchstäblich ver-rät.
Dann bestünde Wissen gerade darin, im Fragen und Forschen, in den forschenden und fragenden Subjekten zu lesen und daraus zu verstehen, was sie – und andere – treibt und bewegt.
Ein Wissen, das auf diese Weise zu Stande kommt, wäre nicht akkumulativ, hätte keinen ‚Bestand‘. Es hätte nicht einmal mit einer allgemeinen Menschenkenntnis zu tun, sondern eher mit der Fähigkeit oder Gabe, sich auf Fragen einzulassen und in die Bodenlosigkeiten einzufühlen, aus denen Fragen und Begehren erwächst.
Deine Reflexionen bringen ins Grübeln: Führen Fragen zum Wissen oder zum Zweifeln am Wissen? Gibt es Glauben, der nicht immer wieder in Frage zu stellen ist? Ist es zum Verzweifeln, dass wir nicht wissen können, was wir glauben wollen? Oder liegt Hoffnung darin, dass Wissen nur durch sein Hinterfragen lebendig bleibt?