Jüngster Tag

Sie werden vom Aufgang und vom Untergang kommen, aus Norden und Süden
Letzte werden Erste sein, heißt es bei Lukas, dem Evangelisten, und Erste Letzte.
Es dauert, ehe Adam eintrifft. Man erkennt ihn nicht sogleich. Er hat sich, scheu und verschämt, in der Rippe von Eva versteckt.
Auch die Frauen und Schwestern von Abel und Kain kommen von weit.
Ihre Männer haben sie auf den Rücken geschnallt.
Methusalem und andere alt Gewordene bringen in ihren Bärten die Sonne mit, die ihnen so lange geschienen hat.
Noah hat Elefanten und Ziegen vor seine Arche gespannt. Sie kommen übers Trockene angefahren.
Andere, die man nicht alle kennt, ziehen quellende Wolken an langen Bändern hinter sich her.
Auf dem höchsten der Wolkenberge steht ein feuriges Shuttle. Ein Überbleibsel.
Jetzt hat es nur noch Erinnerungswert.
Ehe die Letzten nicht eingetroffen sind, wird nichts vom Aufgetischten verspeist.
Sowieso denkt noch niemand an Essen und Trinken.
Zu aufregend, die Ankunft der Totgesagten, das Aufstehen der Totgeglaubten. Man brächte vor lauter Erwartung keinen Bissen herunter.
Wenn der Letzte kommt, werden sich alle erheben und anstoßen.
Aber Trinksprüche wird es keine mehr geben.

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1 Antwort zu Jüngster Tag

  1. sylvia sagt:

    das ist so wunderbar – dieser text von erwartung und vom ankommen…
    was für ein fund in all dem hektischen geflitter und geglitzer und gepiepse und gegröhle – danke Dietmar!

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