Reiz und Stachel – ein exegetischer Exkurs

Eine der schwierigsten biblischen Stellen für ein harmonisches Gottesverständnis bringt II. Samuel 24. Das Kapitel berichtet davon, wie David eine Volkszählung durchführen lässt.

Ein Unternehmen, das gegen den Willen Gottes verstößt. Es endet damit, dass ein Teil des Volkes nach der Zählung an der Pest zugrunde geht.

Warum die Sache Gott nicht gefällt oder nicht gefallen hat, bleibt offen.

Im Midrasch (Midr.r. zu Numeri, II. 17) meint Rabbi Eliezer dazu: immer wenn Israel aus gutem Grund gezählt wurde, erlitten sie keine Verluste. Aber wenn sie aus ungutem Grund und zu einem schlechten Zweck gezählt wurden, erlitten sie eine Minderung. Rabbi Eliezer vergleicht dann die gerechtfertigte Zählung, die Moses seinerzeit zur gerechten Aufteilung des Landes unter die Stämme vornahm mit der verkehrten Zählung, die David durchführen ließ. Dem König ging es, das lässt der Bericht jedenfalls durchblicken, um die Aushebung weiterer Mannschaften für den Kriegsdienst.

Aber der springende Punkt ist noch ein anderer: David entschließt sich nicht aus freien Stücken für den Zensus, sondern wird von Gott dazu motiviert: „Der Zorn Gottes entflammte gegen Israel und reizte David gegen sie auf, indem er sagte: Geh und zähle Israel und Juda.“, 2. Samuel 24, 1. Zwar wird hier nicht Gott selbst, sondern sein Zorn als Urheber oder Anstoß ausgewiesen, aber dann ist doch zu fragen, inwiefern Zorn, biblisch immer wieder als eine Eigenschaft oder Qualität Gottes ausgegeben, sich von Gott sozusagen ablösen und gegen ihn verselbständigen kann, ohne dass durch diesen Vorgang die Souveränität Gottes in Frage gestellt wird.

Kein Wunder, dass sich die Kommentatoren mit dieser Stelle schwer tun, und zwar schon sehr früh, nämlich im biblischen Kanon selbst. Denn nahezu derselbe Bericht von Davids Volkszählung findet sich noch einmal in einem anderen biblischen Buch, in I. Chronik 21. Diese Schrift ist späteren Datums und deutet auf Kontroversen hin, die zu der problematischen Stelle bereits eingesetzt hatten.

Dort ist eine Formulierung gewählt, die etwaigen Missverständnissen hinsichtlich eines wünschenswerten Gottesbildes vorbeugen soll: „Der Satan trat gegen Israel auf und reizte David, Israel zu zählen.“  Ein problematischer Versuch, einen prekären Sachverhalt aufzulösen, um so ein harmonistisches Gottesbild zu retten.

„Geh und zähle Israel!“ – von wem geht dieses Diktum oder Votum aus?

Zur Entschuldigung Davids sei gesagt: er war im Glauben, die Aufforderung käme von Gott.

Als das Projekt dann auf den Widerstand seines Heerführers Joab und anderer „Experten“ trifft, hält David dennoch daran fest, ob aus starrem Eigensinn oder aus der festen Überzeugung, einen göttlichen Befehl umsetzen zu müssen, bleibt offen.

 

Die Anekdote aktualisiert jedenfalls die alte Frage: ist einer höheren Weisung, einer göttlichen Stimme oder Eingebung zu trauen oder nicht? Welche Zeichen oder Symptome sichern die Authentizität einer divine message, einer göttlichen Botschaft? Und auch, wenn die „Urkunde“ gleichsam signiert ist, welche Gewähr gibt es dafür, dass die Signatur echt ist und stimmt?

 

Es versteht sich beinah von selbst, dass solche Fragen, um einen unanfechtbaren Glauben zu begründen, schon früh, quasi in den Anfängen abgewehrt oder umgebogen werden mussten. Umso erstaunlicher, ja umso bewundernswerter, dass sie in der Bibel, der okzidentalen Glaubensurkunde schlechthin, nicht nur nicht unterschlagen, sondern offenkundig aufgeworfen wurden. Und der Versuch, sie in einer späteren Version des Berichts, eben in I. Chronik 21, 1 wieder zuzuschütten, macht erst recht aufmerksam und sensibel für den zugrunde liegenden Konflikt: ein beunruhigender Stachel, gleichsam ein stimulus im Sitzfleisch des Glaubens.

 

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