Internet Eyes

Überall in der Welt, in Banken, Ladengeschäften, Bahnhöfen, auf Flughäfen und verkehrsreichen Plätzen, überall auf der Welt laufen Überwachungskameras Tag und Nacht. Rund um die Uhr werden Brennpunkte öffentlichen Geschehens, durch Verbrechen oder Übertretung gefährdete Plätze und Räume samt den dort sich aufhaltenden, verweilenden oder durchströmenden Menschen, Hunden, Schirmen, Taschen, Rädern, Stöcken, Hüten, Karren, Gepäckstücken gefilmt, auf Videos gebracht. Über neunzig Prozent des entstandenen und laufend entstehenden Bildmaterials erblickt und erlebt kein menschliches Auge. Es wird wegsortiert und nach einiger Zeit gelöscht, vernichtet. Höchstens zehn Prozent der Videos, die unzählige Überwachungskameras tagaus tagein liefern, werden einer Sichtung und wenn auch nur höchst flüchtigen Prüfung unterzogen.

Das soll nun anders werden.

Eine britische, in diesen Tagen gegründete Gesellschaft namens Internet Eyes hat sich bereit erklärt, Abhilfe zu schaffen. Das mit den neunzig Prozent muss anders werden. Der Bilderstrom der Überwachungskameras soll per Internet auf die Bildschirme privater Nutzer gelenkt und von diesen echtzeitlich (und freizeitlich, wenn man so will) begleitet und beobachtet werden auf kriminelle oder sonst wie verdächtige Auffälligkeiten hin.

Den Personen, die sich bereit erklärt haben, den geforderten Prüf- und Sicherheitsdienst am heimischen PC zu verrichten, winkt zwar kein festes Gehalt, aber doch eine Prämie im Falle eines erfolgreichen Alarmschlags. Außerdem eine zusätzliche Bepunktung, wenn ihr Druck auf den roten Knopf am überwachten Ort des Geschehens zu einem gelungenen Einsatz geführt hat. Ja, die Überwachungsvideos und die darauf festgehaltenen Kriminellen sollen nicht mehr uneingeholt davonlaufen. Die Bildströme sollen ab sofort nicht mehr bloß dokumentieren, was Stunden danach bereits unabänderlich Fakt ist. Sie sollen in actu und Echtzeit Interventionen gestatten. Also eine bessere Nutzung des zu neunzig Prozent vergeudeten Bildmaterials. Und zugleich Schaffung potentieller Verdienstplätze am häuslichen Monitor. Schnüffelei? Spitzeltätigkeit? Nein, keineswegs. Eher und im Ansatz ein neues Gesellschaftsspiel, ein – wenn auch umwegig erscheinender – neuer und direkter Zugang zu Schauplätzen akuter Aktualität: in Räumen und Plätzen dabei sein, an die ein normaler Mensch gar nicht denkt. Darunter auch welche, weit weg und fremd, an die der eigene Fuß niemals gelangt. So lassen sich langfristig nicht nur Delikte vermeiden, sondern aus Voyeuren, die ihre Zeit bislang mit ziellosem Surfen totschlagen, könnte eine Schicht von wachsamen Spähern und Meldern hervorgehen: kühle oder mitfiebernde Köpfe, unablässig in engem Augenkontakt mit den unzähligen brennenden oder sicherungswürdigen Punkten und Orten, die es gibt in dieser globalen, so wahrnehmungs- und beobachtungsbedürftigen Welt. Also eine lohnende und spannende Alternativen zu den mehrheitlich realitätsfernen, durch Kenn- oder Passwortzugang geregelten Chatrooms und Internetforen, wo Handgreifliches überhaupt nicht mehr vorkommt. Weitere Aussichten: im Zuge des detektivischen Sehens Handlungs- und Geschehensmustermuster nicht nur ausmachen, sondern nach und nach auch prognostizieren. Ein auf Zukunft gerichtetes Gespür entwickeln auch für die delinquenten Kontexte, in die Opfer und Täter geraten.

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