Chimäre

Zu den interessantesten Lebewesen, die wir kennen, gehört die Chimäre. Linné, der schwedische Systematiker, hat sie leider nicht berücksichtigt unter den Pflanzen. Und im Tierleben von Brehm ist sie auch nicht zu finden. Das ist schade, weil der Anspruch der Chimäre auf Anerkennung, auf Realität, nicht zu übersehen ist. Schon seit Jahrtausenden tritt sie auf, sie zeigt sich auf Brettern, die die Welt bedeuten und klopft und klappert eine Einbildungsszene nach der anderen ab.

Es könnte sein, dass man die Chimäre für gefährlich hält wegen der Schlange, die aus dem Schwanz zubeißt. Oder dass sich die Menschen gestoßen und abgestoßen fühlen vom Ziegengeruch und von den Hörnern und erschrecken, wenn die Chimäre sie anschaut mit ihren Ziegenbocksaugen.

Sie ist nicht wirklich zahm und rechnet auch nicht unter die Tiere der Steppe. Auch diese Unsicherheit macht uns die Chimäre nicht gerade vertraut. Man weiß nicht, wie stark ist der Löwe in ihr? Wovon ernährt sie sich, wenn sie nur in unseren Einbildungen grasen sollte, wo wirklich kein wirkliches Gras wächst? Schlägt sie sich den Leib voll mit unseren Phantasien und Ängsten oder sind Kompott und fliegenumschwärmtes Aas größere Delikatessen für sie?

Wie alle Tiere, so versteht sie auch mehr oder weniger die menschliche Sprache, ohne sie selber zu sprechen. Aber sie hat, wie alle anderen Tiere auch, begreifliche und nachvollziehbare Hemmungen, sich auf eine uns sogleich verständliche Weise zu verstehen zu geben. Hemmungen, Skrupel, Blockierungen spezifischer Art, die sich wahrscheinlich aus der langen Geschichte ergeben, die wir Angehörigen der menschlichen Gattung mit der Spezies der Chimären teilen. Eine lange Geschichte, in der wir stumm und manchmal atemlos und ungeduldig neben einander her gelaufen sind. *

 

*) hier könnte jetzt eine echte Chimäre stehen und weiden, tut sie aber nicht,

sie ist schon wieder ausgerissen …

 

 

 

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