Bei der Betrachtung des Schattens, den Jona seinerzeit aufgesucht hat, den Schatten seiner Laubhütte, den Schatten der Wunderpflanze, dann der Schatten im Bauch des Fisches, den er nicht aufgesucht hat, der Schatten im Rumpf des Schiffes, in dem er sich schlafen legte, als der Sturm zu tosen anhob,
in Anbetracht der Betrachtungen dieser Schatten kommt unvermeidlich in den Sinn das sprichwörtliche Zeichen des Jona. Gewiss, Schatten ist Zeichen, das haben die Sonnenuhren schon früh bewiesen. Aber:
Zeichen des Jona, wo zeigt es sich noch?
„Andere bewirken Zeichen, andere signalisieren mit erheblichem Aufwand“, steht auf einem abgerissenen Zettel zu lesen. „Aber Jona hat keines der in seinem Leben und Kontext auftretenden Zeichen selber gemacht. Er hat sie eher erlitten, widerwillig und schroff.
Möglicherweise besteht genau darin sein Verdienst.“
Eines der Zeichen des Jona ist sicher die Taube, weil Jona Taube bedeutet.
Im übrigen werden sie bei richtigem Hinsehen schier überall sichtbar. Man muss kein Prophet dafür sein.
Über Jona hat es einmal einen Film gegeben, gedreht nach dem Zweiten Weltkrieg, irgendwann in den frühen 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Den Film erinnere ich nicht mehr, aber die umherirrende Gestalt des Jona unter dem Stuttgarter Fernsehturm.
Begonnen hat alles damit, dass Elia, als er einst in Phönizien unterwegs war, bei einer Frau einkehrte, die als Witwe von Sarepta in die Bibel eingegangen ist. Sarepta oder Zarpat liegt nicht weit von Sidon entfernt. Der Name der Frau ist nicht überliefert, aber der Name der Ortschaft ist wörtlich „Schmelzhütte“, Läuterungsort.
Die Frau nimmt Elia, den wandernden Propheten, bei sich auf. Dann stirbt der Sohn, plötzlich und unerklärlich. Ein schwerer Schlag. Elia ist äußerst betroffen durch den Vorwurf der Mutter, seine Anwesenheit habe den Tod des Kindes verschuldet. Er müht sich und es gelingt ihm, den Knaben ins Leben zurückzuholen. Dadurch wird er für ihn so etwas wie ein neuer und eigentlicher Vater.
Die frühe Todeserfahrung und Wiedererweckung bleiben für Jona, das ist der Name des Jungen, lebenslänglich eine zentrale Erfahrung, ein Lebenszeichen, ein Todeszeichen, der frühen Kindheit eingestiftet.
Der Schlaf im Schiff, das vom Sturm und den Wellen von einer Seite auf die andere geworfen wird. Ein Zeichen, eine Knüpfung an jenes frühe Zwischenspiel, jenen frühen Einbruch von Dunkelheit, Apathie, Absence in ein kindliches Leben. Gibt es davor eine Erinnerung an den Tod des leiblichen Vaters, eine Phantasie zu seinem Verschwinden, zu seinem Verlust?
Der Tiefschlaf unter Deck nimmt im Traum Elemente des Todesschlafs auf, aus dem ihn Elia zurückgeholt hat.
Aus dem Schiffbauch gerät er in den Fischbauch. Dort isst er nicht mehr, dort schläft er drei Tage und Nächte lang nicht. Es ist eine Art Todesschlaf, den er in der Tiefe durchwacht.
Die Seeleute, die ihn auf seinen eigenen Wunsch ins aufgeregte Meer geworfen haben, sehen die Zeichen, die Stillung des Sturms, die jähe Beruhigung des Wassers. Sie geloben dem Gott dieses Wundermannes ein Opfer. Es besteht in ihrer kollektiven Beschneidung, wie im Buch Pirke de Rabbi Eliezer überzeugend dargelegt wird.
Dort wird auch erzählt, wie der Fisch mit seinem unfreiwilligen Passagier im Bauch durch Abgründe, durch Tiefen und Untiefen des Universums taucht. So geraten sie in die Nähe des Leviathan, dieses kosmischen Ungeheuers, das alles in sich verschlingt. Der Untergang des Fisches und des Mannes in seinem Innern scheint besiegelt. Da springt Jona aus dem Bauch in den Rachen des Fisches empor und entblößt sein beschnittenes Glied, Zeichen des Bundes mit dem Gott seines Volkes. So jagt er das Monstrum in die Flucht und verspricht, sich am Jüngsten Tag zur Verfügung zu stellen, um Leviathan, der in der künftigen Welt den Gerechten als Speise dienen soll, mit Angel und Rute zu fangen.
Jona wird ausgespien, kehrt aus dem Fischbauch und aus den Abgründen des Ozeans an festes Land zurück. Eine Wiederkehr, die nicht unbemerkt bleibt. Es gibt Augenzeugen dafür, dass der Fisch den Mann Gottes in hohem Bogen auf den Sandstrand speit. Die Kunde davon erreicht Ninive, noch ehe Jona dort ankommt.
Wider Erwarten bleiben die Leute von Ninive nicht halsstarrig. Sie öffnen sich für die prophetischen Warnungen, lassen sich von den Untergangsdrohungen des Jona schrecken.
Sie kehren restlos und ausnahmslos um.
Allerdings heißt es auch: nicht das Fasten der Leute von Ninive habe die Stadt und alle ihre Bewohner bewahrt, sondern das Fasten der Tiere.
Das Fasten und Beten der Tiere hat die Stadt und ihre Bewohner gerettet.
Der Aufenthalt des Propheten auf der Anhöhe östlich der Stadt ist wegen des dort geschehenen Wunderbaumwunders ein bis heute sichtbares Zeichen. Die Pflanze gibt den Schatten, in den es Jona zieht. Aus der provisorisch errichteten Hütte aus Zweigen und Laub zieht er um unter den kikayon oder qiqaion usw.
Könnte ein gigantisches Kürbisgewächs oder auch ein einmaliger Rizinus sein.
Im Amerikanischen gourd, nicht pumpkin, wie an Halloween sondern gourd.
Vielleicht bedeutet es Gurke, deren Schatten heutzutage in so viele Salatteller fällt.
Die Vernichtung seiner Zuflucht hat Jona überlebt.
Andere sterben an ihren Wundern und Zeichen.
Jona überlebt und ist auf dem Weg, den Leviathan mit Schlinge und Rute aus der Tiefe des Universums zu ziehen.
Köche und Bräter stehen bereit, um Leviathan dann fürs Festmahl der Gerechten zu braten, zu dünsten, zu sieden, je nach Geschmack. Wohl proportioniert, zusammen mit gutem Gewürz und Getränk wird man ihn servieren und einverleiben in der Welt, die da kommt.