Schattenschwund und Schattensuche

Es entzieht sich unserer Wissenschaft, an welchem Grad nördlicher oder südlicher Breite erstmals aufdämmerte, dass Alles seinen Schatten habe. Später hat man es gerne im übertragenen Sinne genommen und daraus Schatten s e i t e n gemacht. Aber ursprünglich waren es schlichte Schatten, kurze und hinkende, lang übers Gras fallende, lange und dünne, stille und flatternde. Daraus haben wir dann die verschiedenen Schattenseiten der möglichen und unmöglichsten Dinge gemacht, den Menschen eingeschlossen.

Da ging es in der popularistischen Philosophie, auch in der eines Diogenes, doch noch wesentlicher und naturnäher zu. Ein Schatten galt als unverzichtbare Kostbarkeit, hervorragend zum Benetzen der nackten, durch die Sonne stapfenden Beine und Füße. Jeder menschliche Schatten eine ganz persönliche Mitgift. Irgendwann allerdings fallen die Haare aus, die Zähne verlieren sich, immer weniger Schatten, bis schließlich das Fleisch von den Knochen fällt und der Mensch diese Gabe, ja Blüte seines Leibes verliert und unter der Erde lange umherirren muss, bis er ihn da oder dort wieder findet, oder einen passenden Ersatz.

Daher die Rede vom Schattenreich, das keiner kennt, weil es zwar überall ausgedehnt, aber nirgends abgesteckt ist.

Übrigens gibt es kein Mittel, einen dahinschwindenden oder erblassenden Schatten zu halten. Er ist wie Wasser, das man in einen Kieshaufen gießt. Im Nu ist es weg, in unzähligen Räumen versickert. Wer seiner dunkelglänzenden Spur nachfährt, kommt zwischen den Kieseln nicht weit.

 

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