Busfahrer Felix

1561 schreibt der Dichter Joseph Justus Scaliger in seinen lateinisch verfassten Poetices:

 « Nomen et omen.
Omnibus est nomen, sed non est omen.
Felix, qui vere nomen et omen habet. »

„Namen und (Vor-)Ahnung.

Alle besitzen einen Namen, aber nicht (unbedingt) eine Vorahnung.

Glücklich, der in der Tat Namen und (Vor-)Ahnung hat.“ *

Durch ein Missverständnis späterer Leser ist aus der ersten Zeile
„Nomen est omen“
geworden, eine leere Redensart, die heute noch gelegentlich zu Ohren kommt.

Wir wissen nicht, wie das kleine sinnentstellende s in das Wörtchen „et“ reinrutschen konnte.

Doch auch die zweite Zeile hat ihren Sinn geändert.
Sie muss übersetzt werden:

„Omnibus ist ein Namen“ –

und hier hat Scaliger in der Tat Ahnungsvermögen bewiesen, einige Jahrhunderte vor dem Erscheinen der ersten, für den öffentlichen Verkehr eingesetzten gleichnamigen Fahrzeuge zur Personenbeförderung.
Omnibus ist ein Namen hierfür, nicht bloß ein Wort.
Ein Namen, – aber eben nicht unbedingt Omen.

Schließlich darf auch die dritte und abschließende Zeile anders aufgefasst werden.

Felix sollte dann als Eigen-Namen verstanden werden.
Es ist der Busfahrer selbst, der so heißt:
Felix hat in der Tat beides, Namen und Vorahnung, nicht bloß als wirklicher Busfahrer unserer Tage, sondern auch als Person, deren Existenz der ahnungsvolle Dichter vorausgesehen hat. Mit großer Bestimmtheit hat er sie aus einer bloßen Ahnung ins wirkliche Leben übergehen lassen. Das war, man bedenke, lange vor der Entstehung unseres technisch und logistisch ausgefeilten Straßenverkehrswesens.

Scaliger, man staune, konnte einen Omnibus als Realität schon im 16. Jahrhundert denken, und den Chauffeur Felix dazu.

Es ist erst die Einsicht in solche Zusammenhänge, die begreifen lassen, warum Scaliger diesem kleinen Gedicht den Titel „Aenigmata“ verpasst hat. Er selbst beweist ja darin, dass der Kunst des Rätselstellens das Ahnungsvermögen, die Kunst der Deutung von Omen und Wink, gleichsam eingeschmiegt ist.

So wollen wir heute daran erinnern, dass der 1609 verstorbene Dichter in diesem Jahr seinen vierhundertsten Todestag feiert, mit einem freundlichen Blick auf den Busfahrer Felix, ihn bedenkend, der jetzt irgendwo im Großraum Hannover oder Madrid seinen mit Passagieren, Pendlern und Schulkindern beladenen Bus durch Straßen und Ortschaften steuert, vielleicht als Scaligers Reinkarnation.

 

*) aus: Harenberg Sprachkalender Latein 2009, 31 Ian. / 1 Feb., Dies Saturni / Dies Solis 2009 

 

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