Selbsterkenntnis

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Ich habe auf der ganzen Welt bisher kein ausgeprägteres Monster und Mirakel gesehn als mich selbst. Zeit und Gewöhnung machen einen mit allem Befremdlichen vertraut; je mehr ich aber mit mir Umgang pflege und mich kennenlerne, desto mehr frappiert mich meine Ungestalt, desto weniger werde ich aus mir klug.

Keine Eigenschaft ergreift je voll und ganz von uns Besitz. Wäre es nicht das Benehmen eines Narren, Selbstgespräche zu führen, würde kein Tag, ja keine Stunde vergehn, da man mich nicht mich selber anknurren hörte: „Du Scheißkerl!“ Und doch sehe ich mich damit nur unvollkommen definiert.

 

aus: Michel de Montaigne, Von der Kunst, das Leben zu lieben, übersetzt, ausgewählt und herausgegeben von Hans Stilett, München: dtv 2007, 18f.

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