Selbstportrait von fremder Hand

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                                                                          was ist zu sehen?

sehe Acryl, wassergelöste Farben auf Leinwand.

es zeigen sich Gesichter, Physiognomien in abwärts laufender Reihe.

drei oder vier Kringel mit Augenpunkten darin.

ein liegender Halbbogen für Mund.

weiter unten, in der Wagrechten noch eine Physiognomie: Smily, smileface.

Ich sehe das was du nicht siehst:
einen schwarzen Kletterer in türkisfarbener Steilwand;
über ihm ein blaues Labyrinth, in dem eine Kette violetter Punkte entlangläuft,
alle an der Außenwand auf Labyrinthpfad,
immer an der Irrgartenmauer entlang.
ob sie, in diesem Gänsemarsch, zurechtfinden werden?

Im mittleren Vordergrund ein aufgeschlagenes Buch.

das gehört, denkt der Leser dort,

keine Lesefläche, kein Pult, aber eine Stufe dafür,

unter der es verwahrt ist, ein nach unten offener Kasten,

ein ungewöhnlicher Winkel,

ein angemessener Ort.

Über der Stufe stemmen drei Striche

in rosa Beleuchtung gegen den Wind.

drei Leute, die in die Buchseiten sehen und lesen.


Auf der Leinwand Felder, Kammern, Regionen.

ein violetter Halbmond mit ebenfalls violetter Sonne im Maul

wahrscheinlich ein Zeichen, ein C, versehen mit ° , violettrot gefüllt und geschnitten aus Samt.

Vor der rechten oberen Bilddecke schwebt eine Palette.

auf ihr in Mulden Farbhügel, vielleicht fünf oder sechs unterschieden.

links davon hängt herab, was wie Saiten- oder Zupfinstrument aussieht.

dort, wo sonst die Öffnung für den Resonanzboden ist,

steckt ein Kopf und streckt an langem Halse hervor:

eine Miniatur;

kleines Selbstbild von fremder Hand beschaut den Betrachter,

der als Dargestellter sein Datengeheimnis

sein Copyright argwöhnisch

gewahrt wissen will.


Es gibt dann noch einen Goldstrom, der aus der unteren Bildkante hochschwappt.

in der Strömung eine weitere Mondsichel liegend,

dieses Mal blau mit goldener Sonne im Maul.

zur rechten Bildkante hin eine Rundung, von einem Regenbogen begrenzt,

mit einer Spiegelscherbe darin,

gebettet ins Blau das Yves Klein so gerne gemocht hat.

Auf der Rückseite des Bildes, auf der unteren Leiste des Rahmens,

hat jemand frech in Faserschrift oder Tusche den Vornamen des Künstlers signiert,

dessen Portrait hier von fremder Hand vorliegt.

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