Nachtschnecke

img_0628.jpg

Auf einem Waldweg

 

img_0627.jpg
eine finster
lagernde Schnecke,

zieht sich lange und langsam dahin,

ohne Rock und Gehäuse,

nackt und daher namentlich Nachtschnecke.

Ihr Naturell: Schleim und eine gewisse Trägheit kennzeichnen sie.

Schnecke, die man lange betrachtet, erobert Langsamkeit für sich zurück.

Streckt Fühler und tastet auf rauem Weg voran,
verliert seitliches Grün nie aus dem teleskopischen Auge.

Ein Mensch, ebenfalls auf  rauer Straße daher, beugt sich verwundert:

„Wie kann man“, fragt er, „so schwarz ohne Tusche und Pech sein,

ohne Schminkdose und Schwärze mit sich zu führen?“

 

vor über 20 Jahren geschrieben – so lange dauert ein Schneckentext, bis er ankommt:

Versuch, in der schillernden Schleimspur der langsamsten Wesen zu lesen. Das ungeheuere, jedoch gleichsam gedrosselte Tempo der Schnecke ermessen. Es steckt in der Spirale ihres Gehäuses. Deswegen leistet sie sich, einmal vor die Schwelle ihres Hauses getreten, die denkbar gemächlichste und leiseste Gangart. Auf dem Rücken trägt sie ihr Haus wie einen gewundenen Krug, den innen der Dampf der Spiralnebel füllt.

Die Nacktschnecke hingegen geht ohne Gehäuse. Sie hat es nie gehabt. Daher sucht sie auch nicht danach, wenn sie den frisch beregneten Asphalt abgrast. Sie wandert gesellig bei Nacht. Das  ist ihr Haus, das sie auf langen Rücken mit sich schleppt. Häufig zu Dutzenden, zu Hunderten gehen sie oder noch mehr, und stets in Rufweite. Wie Saugnäpfe hängen sie einzeln übers Teerpflaster der Erde verteilt und ziehen leuchtende Gaswolken hinter sich her oder die unbeweglich scheinenden Galaxien am nächtlichen Himmel.

                                             aus der Datei „Comp.009“, um ’88

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert