Das Gipfelbuch an der Seilbahnstation Gimmelwald steckt in einer gut verschließbaren Dose, an der Außenwand des Gebäudes, in den Zementsockel eingelassen, an dem der Zugang zum Klettersteig mündet. Ein schönes und handliches blaues Buch, in blaues Leinen gebunden und dazu eine Handvoll Kugelschreiber und Bleistifte auf dem Grund des Behältnisses. Hier haben sich die Überwinder des Klettersteigs eingetragen, mit kurzen und begeisterten Bemerkungen, Datum und Namen. Es sind Aufzeichnungen in leserlicher Schrift, aber in unbekannten Sprachen. Andere Texte sind unleserlich, mit sonderbaren technischen Skizzen versehen. Sie erinnern an Leonardos Tagebücher, andre Seiten sind wie das Gästebuch gestaltet, das in unsrer hiesigen Bleibe schon seit fünfzehn Jahren ausliegt.
Das Papier ist dick und kräftig, in der Erinnerung von beige in wolkenweiß spielend. Gerne nähme man das gesamte Dokument nach Hause mit, zum gründlichen Studium der darin niedergeschlagenen Triumphe und Schrecken.
Manchmal geben die Eintragungen die Erleichterung zu erkennen, heil am Ende angekommen zu sein. Aber alle entspringen aus dem dramatischen Widerstreit der philobatischen und oknophilen Anteile, die in jedem von uns verteilt sind. Man sucht den Abgrund und saugt ihn mit Augen, Ohren, mit allen Sinnen und Einbildungskräften in sich hinein, angeklammert an die Steigeisen und eingeschlagnen Krampen und Bügel, die an dem senkrechten Felssturz entlang führen. Abgrund und Gipfel stehen natürlich in einem Wechselverhältnis zu einander. Das sind die beiden Pole des Sublimen. Sie streben auseinander, sie treffen sich, sie fallen zusammen wie im lateinischen altus, das zugleich hoch und tief bedeutet.