Holz und Stein, Bäume und Felsen liefern manchmal Bilder, die aufs Gewöhnliche zielen, auf ein Grundverhältnis zu lebenslänglicher Mühsal und Last: Hölzer tragen, Steine wälzen …
Auf einem Berg hier in der Nähe, auf einem antiken, von großen Bäumen überwölbten Friedhofsgelände gibt es einen ein Stein. Behauen und gebaut wie ein viereckiger Wachturm, aber massiv. Ein Grenzturm aus kompaktem Fels. Er markiert eine fließende Trennlinie, in der Lebenszeiten und Todesräume aufeinander schwappen. Ein Bauwerk mit vier Seiten. Drei davon sind leer. Im Giebelfeld der vierten Seite wacht ein Engel. Nur sein Kopf ist zu sehen. Der Leib des Engels samt den Flügeln ist ganz im Stein verschwunden. Um seine Stirn legt sich ein Kranz mit runden Teilen, die Marmeln, Knospen oder Frühkartoffeln sein könnten. Unter dem Engel, in einem rechteckigen, aufrecht stehenden Feld: ein Christus. Er geht, die Gestalt in den Schultern gebeugt. Das kommt von dem Mastbaum, den seine linke Schulter in der Wagrechten zu halten sucht. Der Mastbaum ist lang, drückend und schwer. Er rollt leicht von der Schulter, was er nicht darf. Denn die Anstrengung einer ganzen Mannschaft würde nicht ausreichen, diese Last vom Boden wieder aufzuheben..
Der Balken ist aus einem Baum gemacht. Es gibt eine Querbohle dazu. Sie ist im rechten Winkel aufgenagelt. Beide Holzteile zusammen ergeben ein Quer- & Kreuzholz. Ein Mastholz, vielleicht zum Aufhängen eines Segels oder einer Fahne gedacht.
Der kreuztragende Christus ist aus Stein, aus einem Berg, aus einem Steinbruch in der Umgebung.
Das ist das Material.
Das Motiv, klar, variiert den ans Kreuz genagelten Christus.
Der wiederum variiert den Mann aus Kyrene, von dem berichtet wird, dass er eine Zeitlang den Mastbaum tragen musste anstelle des Verurteilten. Auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte. Der Mann hieß Simon, aber nicht Simon der Magier, den spätere Überlieferung als Vater aller Irrlehren dargestellt hat.
Man weiß nicht, wie lange Simon den Mastbaum tragen musste, ob überhaupt noch ein Wechsel der Last stattfand.
Aus dieser Ungewissheit heraus haben gnostische Spekulanten im 2. Jahrhundert behauptet, nicht Jesus, sondern Simon sei derjenige gewesen, der ans Kreuz geschlagen worden sei.
Der Dargestellte auf der einen Seite des Steins könnte der Mann aus Kyrene, aber auch der Mann aus Nazareth sein.