auf den Süllberg

Erstbesteigung des Süllbergs über die Südostflanke, mit Rad und Satteltasche.

Steiler Angang über beschwerliches Wurzelwerk und schroffe Baumhalden. Trägt seinen Namen zu Recht, weil in Süll drinsteckt der vertikale und schwindelerregende Aspekt einer Säule, eines Pfeilers vom Schlage der Irminsul. Hier ist ja früher, ehe es zu Niedersachsen kam, alles germanischer Mythos und Etymologie gewesen. Am Fuß der Säule, auf den Hängen, die gegen den Sonnenlauf schwindelartig abfallen, wurden Brände gezündet, da wurde gefeuert und geschlachtet, als in der Region noch alles von Sümpfen überdeckt und von Morast durchzogen war. Nur die Bergkämme, Gipfel und Häupter streckten sich aus einem Nebelmeer hervor, das sich erst lichtete mit der Trockenlegung, sich hob im Zuge der Kanalisation unzähliger Wasserläufe. Heute verrichten hier um die Mittagszeit Jogger ihre Läufe, indem sie die eng angewinkelten Arme wie Kolben vorwärts und rückwärts stoßen. So kommen sie auch durch Gestrüpp und Unterholz voran, wo jemand mit Rad nur mühsam durchschieben kann.

Der Süllberg zeigt heute noch kultische Spuren. Außer den Säulen, die in eindrucksvollen unsichtbaren Trümmern herumliegen oder noch in dem einen oder anderen Baum emporragen, in Eichenstämmen und Buchenholz verkleidet, gibt es immer noch Reste der verehrten und gefürchteten Sümpfe, die einst das Antlitz dieser uralten Landschaft und Lebenswelt prägten. Das feuchte Element hat sich auch auf die Namengebung übertragen. Süllberg heißt eigentlich „pfützenreicher, morastiger Berg“, weil „suhlen“ in der ersten Worthälfte steckt.[1] Auch der benachbarte Bergzug, der Deister, den man beim Aufstieg durch den Wald zwischen den Stämmen durchschimmern sieht, hat seinen Namen von irgendeinem der uralt unzähligen Worte für Wasser.[2]

In der vorfrühlingshaften Zeit des Jahres findet man am untersten Waldrand Bruchholz angehäuft für künftige Osterfeuer. Auch diese Scheiterhäufen bilden beim Erstaufstieg mit dem gehobenen oder geschobenen Rad ein erhebliches Hindernis. Man muss darüber hinweg, während Äste und Zweige knacken, lärmen, sich zwischen die Speichen schieben, durchbohren und im Schuhwerk verfangen. Holzstöße, sie prägen schon im unteren Teil den Schwellencharakter des Süllbergs, ebenso wie der zwischen den Bäumen verteilte Morast und die umherliegenden Irminsultrümmer. Hier ist alles Schwelle, alles ist Söll, Söller und Süll und gibt Anlass zum Stolpern, zum Grübeln, zum Sturz in den Abgrund der Vorzeit, den dieser Berg, diese Schwelle nämlich aufrichtet und dabei doch nur notdürftig verschließt, wie ein Pfropfen aus Kork einen Staudamm zustöpseln mag.[3]



[1] Hans Bahlow, Deutschlands geographische Namenwelt, Frankfurt: Suhrkamp 1985, 469

[2] „Wie bei allen Wald- und Bergnamen der Vorzeit liegen auch hier Bezeichnungen für ‚Wasser’ zugrunde“, Hans Bahlow, Deutschlands geographische Namenwelt, Frankfurt: Suhrkamp 1985, 73, zu „Deister“

[3] vgl. J.H. Kaltschmidt, Gesammt=Wörterbuch der Deutschen Sprache, Nördlingen 1853, S.951: „Sull, Süll, niederdeutsch Schwelle“.

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