Träumer

Jeder Mensch träumt. Aber nur manche Menschen gelten als Träumer. Sie haben eine Nachtfunktion in den Tag eingeschmuggelt. Sie setzen im Wachzustand fort, was nur Schlafenden zukommt. Normalerweise: wer einmal erwacht ist, will von Schlaf und Traum nichts mehr wissen. Träumer nennt man Personen, die wirkliche Wachheit nicht schaffen. Aufgewecktsein,  kostbare Errungenschaft: dort will man von Traum und Schlaf nichts mehr wissen. Anders die Träumer: sie bleiben weiterhin schweben und hängen in einem Gespinst aus Ahnung und Gegenwart, an dem sie untätig mitspinnen. Sie erinnern daran.

Träumer verlangsamen ihre Motorik, das Tempo der Welt. Bewegen sich zögerlicher, entrückter. Irgendwie mit Charme und eindrucksvoller Sicherheit. Ein traumwandlerisches Element, das in ihnen steckt. Sie kommen den Seiltänzern gleich, die auch wie ihr oder wir sind. Vielleicht deutet „ach, du Träumer!“ auf Wirklichkeitsschwäche, die sich zwischen Träumern und Nichtträumern einstellt. Ein Defekt, der beide Seiten tangiert. Sie partizipieren beide am Alltag.

Doch die einen halten Steine für Wolken und verhalten sich so. Für die andren gibt es das nicht. Deren Welt ist gestrafft, um viele Hinsichten klarer und ärmer. Für die einen gibt es vieles, was es für die anderen nicht gibt. Man wägt, kalkuliert und rechnet Risiken aus. Nicht so die Träumer. Sie lassen zukommen ohne vorher zu packen. Eintretendes, Löwengruben, Feueröfen, Sirenengesänge. Natürlich Täuschungen alles. Aber Tatsache ist: die Löwen beißen sie nicht, das Feuer verbrennt sie nicht, Sirenen und Sphinxen erwürgen sie nicht. Sie gehen relativ unbeschadet hindurch, betreten andere Seiten, andere Ufer, andere Schnittflächen und -stellen, im Prinzip wohlbehalten.

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